Der Cellist und Dirigent Nicolas Altstaedt ist einer der grössten Fans von Joseph Haydn. Seinen Blick auf den Komponisten stellt er an einem Abend mit dem ZKO vor.
Nicolas Altstaedt, Sie haben mit der Saison 2015/16 die künstlerische Leitung der Haydn-Philharmonie übernommen. Haydn scheint als Komponist oft im Schatten Mozarts zu stehen …
Das stimmt leider. Dabei begründete Haydn die Musikgeschichte unserer Neuzeit und ergründete als «einziger Komponist der Aufklärung», so sagte es der Musikwissenschaftler Anton Haefeli, neue Horizonte, mit denen sich alle nach ihm identifizierten. So würdigte etwa Johannes Brahms Haydns musikalische
Leistung mit den Worten: «Eine Sinfonie ist seit Haydn kein blosser Spass mehr, sondern eine Angelegenheit auf Leben und Tod.» Und von Mozart stammt der Satz: «Keiner kann alles, schäkern und erschüttern, Lachen erregen und tiefe Rührung, und alles gleich gut als Haydn.»
«Haydn ergründete neue Horizonte, mit denen sich alle nach ihm identifizierten.»
Was macht für Sie das Besondere an Haydns Musik aus?
Er ringt um das Höchste, das geistig möglich ist, und schafft ein neues Feld menschlicher Bedingungen. Haydn erschuf meiner Meinung nach das fortschrittlichste Laboratorium der Menschheit und liess dabei stets Selbstlosigkeit und Bescheidenheit walten. Seine Offenheit und Hingabe, die in den «Jahreszeiten» oder in der «Schöpfung» bis zu synästhetischen Erfahrungen führen, rühren mich zutiefst. Ohne Haydns Kunst ist Wahrheit für mich nicht erfahrbar.
Das erste Cellokonzert, welches Sie in Zürich spielen, ist ein Werk, das noch mit einem, wenn nicht mit beiden Beinen im Spätbarock steht. Wie erklären Sie sich die Rolle Haydns im Übergang vom Barock in die Klassik? Oder anders gefragt: Wie kommt es, dass sich harmonische Regeln plötzlich verändern? Liegt es an einem neuen Zeitgeist oder an der Experimentierfreude individueller Komponisten wie Haydn?
Im Barock erschien alles als gottgewollt, in der neuen Zeit der Klassik hingegen regierte die Selbstbestimmung – auch, was die Wege der Musik betraf: Du konntest gehen, wohin du wolltest. Für das Phänomen Haydn gibt es allerdings keine wirkliche Erklärung. Ein neues Zeitalter war angebrochen, und es war an ihm, die Musik dafür zu erfinden. Anders als der junge Beethoven oder auch Bach bezog sich Haydns Schaffen nirgends auf das Werk eines namhaften Vorgängers. Der Musikwissenschaftler Wolfram Steinbeck sprach einmal von einem «Missing Link» in der Musikgeschichte zwischen Bach und Haydn.
Sein Cello-Konzert hat Haydn Joseph Franz Weigl gewidmet, dem Ersten Cellisten am Hause Esterházy, wo auch Hadyn eine feste Stelle fand. Wie wichtig waren die Esterházy-Fürsten sowie der Zugang zu seinem eigenen kleinen Orchester für Haydn, um Neues zu schaffen?
Haydn schwärmte von der Freiheit, die er am Hofe des Fürsten genoss. Er konnte als Chef seines Orchesters experimentieren und die Wirkung seiner Kompositionen direkt verfolgen. Er genoss diese Position, in der er schalten und walten konnte, wie er wollte. Dadurch konnte er seine Originalität auch so stark entfalten.
Das Zürcher Programm verbindet Haydn mit dem ungarisch-schweizerischen Komponisten Sándor Veress. Welche Verbindungen gibt es zwischen ihren Werken?
Zunächst teilten die Komponisten denselben Lebensraum, denn Haydn befand sich auf dem Hofe der Esterházy im damaligen Königreich Ungarn. Bei Haydns C-Dur-Konzert fallen einem im ersten Satz die lombardischen Rhythmen auf, welche mit der ungarischen Silbenbetonung zusammenhängen. Ebenso ist beiden Komponisten eine ganz eigene Originalität und Bescheidenheit zu eigen.
Veress war Lehrer von György Kurtág, György Ligeti und Lajos Vass – wie würden sie seine Wirkung auf diese Komponisten-Generation beschreiben?
Seine Musik hat seine Schüler stark beeinflusst. Kurtág etwa schwärmte von Veress’ musikalischer Wahrheit und nannte ihn «originell ohne Absicht».
Das Schweizerische Bern wurde für den durch den Stalinismus immer weiter unter Druck geratenen Veress wichtig. Wie hat ihn die Schweiz geprägt? Und war Veress’ Musik, die mit vielen Erinnerungen an seine Heimat spielt, politisch?
Musik ist immer grösser als Politik, weil sie auf den ganzen Menschen zielt. Einschneidend für Veress war, glaube ich, die Entdeckung der Kunst Paul Klees – sie hat ihm in der Zeit der Emigration geholfen. So ist das Werk «Hommage à Paul Klee» ein wunderbares Beispiel für Befreiung durch künstlerische Überwindung.
In Zürich treten Sie nicht nur als Solist auf, sondern übernehmen auch die musikalische Leitung. Müssen Sie Ihren musikalischen Geist in dieser Doppelrolle «teilen» oder verschmelzen der Instrumentalist und der Dirigent zu einer Person?
Es läuft beides auf das Musik machen hinaus. Für manches steht mir das Cello als Instrument zur Verfügung, für alles andere das Orchester. Am Ende ist es eine Symbiose aus beidem.
Worauf freuen Sie sich am meisten hinsichtlich der Zusammenarbeit mit dem ZKO?
Auf einen tollen Klangkörper mit exzellenten Musikern und auf das gemeinsame Erkunden musikalischer Landschaften. ab
Dieses Interview lesen Sie auch im aktuellen OPUS.