Der Pianist Menahem Pressler und das ZKO mit seinem Music Director Daniel Hope spielen Mozart und Schubert – eine Reise in das Reich der «wissenden Naivität».
Eigentlich wollte Franz Schubert in die Fussstapfen Mozarts treten, besonders als Opernkomponist. Das gelang ihm aber nicht, auch weil er sehr früh und sehr schwer an Syphilis erkrankte. Stattdessen führte er eine Kammermusikform fort, die bereits Haydn und Mozart zu neuen Höhen geführt hatten: das Streichquartett. Das wohl bekannteste Quartett Schuberts ist das d-Moll-Quartett, das unter dem Titel «Der Tod und das Mädchen» berühmt wurde. Der Titel verrät eigentlich gar nichts über die Musik, denn Schubert folgte keiner inneren Handlung, sondern rein musikalischen Strukturen. Dennoch ist der Titel zum Sinnbild der Todessehnsucht geworden, die im dramatischen d-Moll dieses Quartetts mitklingt.
Von Schuberts Vorbild Mozart gibt es am 21. November das Klavierkonzert in A-Dur KV 488 zu hören. Es handelt sich dabei um eines der reifsten Klavierkonzerte des Komponisten, in dem er bereits den Weg für die frühe Romantik eines Beethoven geebnet hat: Die einzelnen Sätze sind thematisch miteinander verbunden, der Klavierpart äusserst virtuos gestaltet, die Klarinette Teil des Orchesters. Dieses Werk, das für eine grosse Aufführung in Wien geplant war, gilt als heute vielleicht wichtigstes Klavierkonzert Mozarts. Auch und gerade weil es die Türen zu einer neuen Zeit öffnete, ohne die Moden der Gegenwart zu verleugnen.
Der Pianist Menahem Pressler hat dieses Klavierkonzert schon oft gespielt. Und in Mozart findet der Musiker das, was er eine «wissende Naivität» nennt, einen Klang der Selbstverständlichkeit, der es schafft, das Komplexe leicht verständlich erklingen zu lassen. Genau diese Philosophie ruft nach einem erfahrenen Interpreten, der sich Jahrzehnte lang mit der Musik Mozarts auseinandergesetzt hat – und inzwischen auf einem Interpretationslevel angekommen ist, auf dem auch dieses Spätwerk einfach nur selbstverständlich wirkt. Im Interview spricht Pressler über seine Karriere und seinen Zugang zur Musik.
Menahem Pressler, Sie sind inzwischen 93 Jahre jung – würden Sie sagen, dass Ihr Leben der Musik gehört?
Ich denke, dass man das so sagen kann. Schauen Sie, vor einigen Jahren hatte ich einen sehr schweren Sturz und litt unter unvorstellbaren Schmerzen. Und plötzlich war mein Leben vollkommen anders. In dieser Zeit wurde mir bewusst, dass mein Leben kein Leben mehr sein würde, wenn ich nicht mehr Klavier spielen könnte. Also habe ich dafür gekämpft, wieder den zu werden, der ich einmal war. Ich habe am Klavier sogar jene Etüden gespielt, die ich sonst nur meinen Schülern gab – ich wollte, dass meine Hände mir wieder gehorchten. Und ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie glücklich ich war, als es funktionierte. Glücklich und dankbar, mein Leben mit der Musik weiterführen zu können.
Können Sie beschreiben, was genau sie am Musizieren noch immer fasziniert?
Ich hatte mein ganzes Leben lang einen unbeschreiblichen Durst zu musizieren und die Musik zu erobern. Erobern in dem Sinne, dass ich immer tiefer hinabsteigen durfte in die Welt der Klänge. Es gibt immer noch mehr, das gefunden werden will.
Sie meinen, dass die Suche nie aufhört?
Genau: In der Musik gibt es befriedigende Stationen, aber niemals ein Ankommen. Das Leben eines Menschen reicht nicht für alle Erkenntnisse, die möglich sind. Musikmachen bedeutet immer auch zu wissen, dass die Musik nie aufhört, dass es an jedem Tag, an dem man aufsteht, wieder etwas Neues zu entdecken gibt.
Glauben Sie, dass Ihr intensiver Zugang zur Musik auch in der jungen Generation Bestand hat?
Es gibt auch heute wunderbare, junge Musiker. Einige aber spielen nur wegen des Applauses und machen aus der Musik Unterhaltung – das ist nicht mein Weg. Mein Lebensweg ist die unglaublich grosse Freude am endlosen Suchen. Und wenn man diese Suche hört, dann bin ich zufrieden.
Überhaupt klingen Sie heute sehr zufrieden …
Innerlich bin ich das auch. Das musste ich allerdings viele Jahre lang lernen. Ich war ja bekannt dafür, ziemlich schnell unzufrieden zu werden. Selbst mit meinen Freunden im Beaux Arts Trio bin ich oft hart ins Gericht gegangen. Obwohl die Unzufriedenheit auch eine Triebfeder sein kann, suche ich heute eher die Zufriedenheit im Moment. Und ich finde sie meist, wenn ich das Glück habe, mit wunderbaren Kollegen gemeinsam zu musizieren. Das macht das Leben lebenswert.
Musik zum Zuschauen
Obwohl Franz Schubert sich bei seiner Quartett-Komposition nicht vom Titel «Der Tod und das Mädchen» leiten liess, ist seine Musik heute unabdingbar mit dem Bild dieses mythologischen Themas besetzt. Wie Klänge Bilder formen und wie das Auge das Ohr beim Zuhören beeinflusst und leitet, zeigt das Projekt mit dem Kunsthaus Zürich. Während die Musik aus Schuberts Streichquartett erklingt, werden unterschiedliche Bilder aus der Ausstellung «Gefeiert und verspottet – Französische Malerei 1820-1880» gezeigt. Unter anderem Meisterwerke von Künstlern wie Delacroix, Corot, Millet, Courbet oder Sisley – aber auch von Monet und Renoir. Bilder, von denen zum Teil auch Schubert gewusst hat, als er 1824 sein Quartett komponierte. Wie die Musik zu Schuberts Zeiten pendelten auch die Künstler der Französischen Schule zwischen Tradition und Aufbruch. Während einige den alten Stil pflegten und zur Vollendung brachten, schufen andere vollkommen neue Bildwelten, mit denen sie bereits die Moderne vorwegnahmen. Gemeinsam mit der Musik Schuberts ergeben die Bilder ein Klanggemälde des 19. Jahrhunderts, in dessen Zentrum die Emotionalität und die musikalischen Impulse aus «Der Tod und das Mädchen» stehen.
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