Für Jennifer Pike liegt bei Mozart die Schwierigkeit in der Leichtigkeit. Ein Gespräch über das Opernhafte seines Violinkonzerts, Überraschungen und darüber, dass keine einzige Note anders sein dürfte.
Jennifer Pike ist eine der bekanntesten englischen Geigenspielerinnen. Seit sie 2002 von der BBC als Nachwuchskünstlerin entdeckt wurde, spielte sie mit allen grossen Orchestern und Dirigenten. In Zürich wird sie gemeinsam mit dem Zürcher Kammerorchester und Sir Roger Norrington Mozarts fünftes Violinkonzert aufführen. Ausserdem auf dem Programm: Felix Mendelssohns 1. Sinfonie, die sich deutlich an der Wiener Klassik orientiert, und seine Ouvertüre zu «Die schöne Melusine». Jennifer Pike spricht mit OPUS über ihren Zugang zu Mozart, die Zusammenarbeit mit Sir Roger Norrington und ihr Debüt mit dem Zürcher Kammerorchester.
Jennifer Pike, Sie werden in Zürich Mozarts 5. Violinkonzert spielen – sein längstes und schwierigstes.
Dabei hört es sich, besonders am Anfang, so verblüffend einfach an. Das ist ja oft die Krux bei Mozart: Alles klingt so selbstverständlich, aber es ist unglaublich schwierig, diese Leichtigkeit herzustellen. Die technischen Ansprüche, gerade in diesem Stück mit seinem wilden Finale, sind ungeheuer hoch, und gleichsam darf nichts nach Virtuosentum klingen. Es gibt ja diesen schönen Satz, dass Mozarts Musik zu leicht für ein Kind und zu schwer für einen Erwachsenen sei. Ich wünsche mir manchmal, noch ein Kind zu sein, mit meinen technischen Möglichkeiten von heute.
Das Violinkonzert beginnt gleich mit einer Überraschung: Im Orchester wird in A-Dur eine Spannung erzeugt, aber die Geige setzt mit einem sentimentalen Adagio ein.
Ist das nicht grossartig? Als Solist bekommt man hier sofort einen Auftritt wie im Theater. Vielleicht ist das ein Schlüssel für Mozart, seine Konzerte aus der Perspektive der Oper zu verstehen: Jeder Charakter ist so vielfältig, Gut und Böse lösen sich auf – und alles ist irgendwie immer auch Gesang. Gerade in diesem Violinkonzert kommt es mir manchmal vor, als würde jede Note einen eigenen Charakter haben. Denken Sie nur an das Finale mit seiner türkischen Musik und seiner ungestümen Wildheit, das dann plötzlich im Nichts verklingt.
«Gerade in diesem Violinkonzert kommt es mir manchmal vor, als würde jede Note einen eigenen Charakter haben.»
Wahrscheinlich hatte Mozart bereits die Karnevalsaison im Kopf, als er dieses Konzert im Winter 1775 schrieb. Ist es für Sie wichtig, zu wissen, in welchem Kontext ein Werk entstanden ist?
Natürlich, jede Information ist nützlich. Doch wenn man sich mit der Biografie Mozarts auseinandersetzt, kommt man als Geiger ins Grübeln. Mozart hat all seine fünf Violinkonzerte sehr früh komponiert und schrieb dann in einem Brief an seinen Vater, dass er mit der verdammten Geige nichts mehr zu tun haben wolle. Vielleicht hatte er sich an der Geige abgearbeitet und keine Lust mehr, das ewige Geigen-Wunderkind zu sein? Auf jeden Fall liess er dieses Genre hinter sich. Schade – was würde ich darum geben, ein Violinkonzert des späten Mozarts spielen zu können. Wie auch immer: Ich bin ihm auch für seine fünf Konzerte dankbar und glaube sogar, dass in ihnen vieles abzulesen ist, was Mozart später, besonders in der Oper, als Stilmerkmale kultiviert hat.
«Ich glaube, dass wir es derzeit mit der Wiederentdeckung der rechten Hand zu tun haben.»
In Zürich werden Sie gemeinsam mit Sir Roger Norrington auftreten. Er ist bekannt für seinen historischen Ansatz. Wie stehen Sie zu seinem Dogma des vibratolosen Spiels?
Ich habe mit Sir Roger ja bereits Ralph Vaughan Williams «The Lark Ascending» einstudiert und kann nur sagen, dass ich selten einen offeneren und interessierteren Musiker getroffen habe als ihn. Dogmatisch erscheint er mir gar nicht. Was er für die sogenannte historische Aufführungspraxis geleistet hat, war Pionierarbeit, von der wir Musiker noch lange zehren werden.
Wie meinen Sie das?
Sir Roger hat eine Tür aufgestossen. Und nun stehen wir als Interpreten vor vielen neuen Fragen. Ich bin zum Beispiel der festen Überzeugung, dass wir uns allzu lange mit der linken Hand und ihren interpretatorischen Möglichkeiten aufgehalten haben, also mit jener Hand, mit der die Noten gegriffen werden: Vibrato oder nicht? Aggressiv oder nicht? Ich glaube, dass wir es derzeit mit der Wiederentdeckung der rechten Hand zu tun haben – mit der Frage nach dem Bogenstrich und der Dynamik.
Was interessiert Sie technisch besonders an Mozarts Violinkonzert KV 219?
Ich habe mir lange die Frage gestellt, ob ich leere Saiten spielen oder ob ich alle Töne mit den Fingern formen soll. Und ich bin inzwischen sicher, dass die leere Saite oft die beste Lösung bei Mozart ist. So erreicht man eine besondere Helligkeit, ein Licht und eine Offenheit.
Mit dem Zürcher Kammerorchester haben Sie noch nie zusammengespielt, oder?
Nein, umso mehr freue ich mich auf Zürich, auf die Tonhalle und natürlich auf dieses wunderbare Orchester, das ich von vielen Aufnahmen kenne. Es ist für uns Solisten immer wieder spannend, ein neues Ensemble und seine Auffassung über einen Komponisten wie Mozart kennenzulernen. Ich bin bereits voller Vorfreude auf all das, was mich in Zürich erwarten wird. ab
Das Interview lesen Sie auch im aktuellen OPUS.