Maurice Steger und das Zürcher Kammerorchester reisen durch das England des 18. Jahrhunderts.

England im 18. Jahrhundert – heute könnte man meinen, dass sich auf der Insel damals alles nur um einen Namen drehte, um den wohl erfolgreichsten Musik-Immigranten aller Zeiten, um Georg Friedrich Händel, der aus Halle nach London kam. Er war der heimliche König der grossen Oper, regierte den Prunk in Tönen und organisierte ausufernde Spektakel mit millionenschweren Kastraten. Für ihn war die Musik ein Geschäftsmodell, das stets neue, spektakuläre und
virtuose Kompositionen verlangte.

Aber all das ist nur ein Teil der Wahrheit. Wenn der Flötist Maurice Steger gemeinsam mit dem Zürcher Kammerorchester auftritt, zeichnet er ein differenzierteres Bild der britischen Musiklandschaft des Barock. Steger ist bekannt für seine sorgfältig recherchierten Programme, in denen er alte Zeiten rekonstruiert und ihnen neues musikalisches Leben einhaucht. Seine Reise durch England zeigt, dass das britische Barock nicht nur bombastisch, sondern auch äusserst vielfältig war.

Natürlich beginnt auch das Programm von Steger und dem ZKO bei der Schlüsselfigur Georg Friedrich Händel. Dessen «Suite de danse» und das Concerto in F-Dur für Blockflöte, Streicher und B.c. zeigen ziemlich gut, warum Händel so erfolgreich war: Neben Superlativen in der Oper schenkte er seinen begeisterten Zuhörern vor allen Dingen beste Unterhaltungsmusik und Klänge, die ganz England in Bewegung brachten.

«Händel brachte mit seinen Klängen ganz England in Bewegung.»

Aber wer durch das England des 18. Jahrhunderts wandelt, darf auch einen anderen Komponisten nicht vergessen: Henry Purcell schrieb Melodien, die in allen Gassen gepfiffen wurden. Seine Semi-Oper nach Shakespeare, «Timon of Athens», war ein gigantischer Erfolg, und mit seiner Chaconne in g-Moll hat der wohl bekannteste Komponist Englands bereits Ende des 17. Jahrhunderts den Ton vorgegeben, der die englische Musik nachhaltig prägen sollte: Die «süsse Dissonanz», in der Kritiker den Schmerz hörten, den Amors Pfeil bei Verliebten hinterlässt, ist eines der bekanntesten Stilmittel Purcells.

Heute weitgehend vergessen ist der Komponist Godfrey Finger. Er wurde 1660 in Mähren geboren, wanderte ebenfalls auf die britische Insel aus und wurde dort besonders als Komponist für König Jakob II. erfolgreich. Maurice Steger stellt nun sein Stück «A Ground» vor. 20 Jahre jünger als Finger war William Babell – ein grosser Epigone Händels, der unter anderem dessen Opern bearbeitet hat. Steger und das Zürcher Kammerorchester werden mit Babells D-Dur-Konzert für lebhaft-beschwingte Stimmung sorgen.

Überhaupt war die Unterhaltung ein wesentlicher Baustein des britischen Barock. Musik und Markt befeuerten sich gegenseitig. Der Komponist Charles Avison war der erste, der im 18. Jahrhundert so etwas wie Abonnentenkonzerte angeboten hatte. Und mehr noch: Avison war ein umstrittener Musiktheoretiker, der keine Angst hatte, sich mit den Grossen seiner Zeit anzulegen. So kritisiere er in seinem Essay «on Musical Expression» die Werke Händels und lobte jene von Benedetto Marcello und vor allem von Francesco Saverio Geminiani. Sein Aufsatz sorgte für Aufruhr in der Musikszene und brachte dem Komponisten, der hauptsächlich in Newcastle und Durham aktiv war, viel Kritik ein. In seinem Concerto in d-Moll liess Avison erahnen, wer sein wahrer musikalischer Gott war: Domenico Scarlatti, dessen Klaviersonaten er publikumswirksam bearbeitet hat.

Maurice Steger (c) Igor.cat Molina Visuals

Letztlich kommen Steger und das ZKO bei jenem Komponisten an, dessen Name bislang nur als musikalischer Geist, als Lehrer zahlreicher englischer Komponisten und als Gegenspieler Händels, durch das Programm geschwebt ist, bei Francesco Saverio Geminiani. Er war ein musikalischer Denker, der nebenbei erfolgreich mit Gemälden handelte. Geminiani hat unter anderem die Violinsonaten von Arcangelo Corelli umgearbeitet und wurde wegen seiner zahlreichen Zitate der «Meister der musikalischen Kochkunst» genannt, der aus bekannten Melodien neue und äusserst verträgliche Musik-Menüs zauberte.

Wenn Maurice Steger und das ZKO nun Geminianis Concerto in G-Dur nach einer Sonate von Corelli aufführen, wird klar, dass sich die englische Musikszene des 18. Jahrhunderts nicht allein auf Händel reduzieren lässt, sondern einige der einfallsreichsten, publikumswirksamsten und schönsten Stücke des Barock hervorgebracht hat. ab

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