Der deutsch-britische Schauspieler Thomas Douglas verantwortet Konzept und Regie der neuen musikalisch literarischen Reihe Feder & Bogen. Entstanden ist eine Collage aus Musik, Text und Bild über Dmitri Schostakowitsch.

TEXT CORINNE HOLTZ

Die Musik quakt, grunzt und knurrt. Sie kitzelt den Geschmack der Bourgeoisie. Das steht am 28. Januar 1936 in einem ungezeichneten Artikel in der Prawda über Schostakowitschs Oper Lady Macbeth. Was die linientreue Tageszeitung abdruckt, ist das Evangelium und kann böse enden. Der Artikel unter dem Titel «Chaos statt Musik» zerschlägt den Sensationserfolg der Oper und ist der Auftakt zur Zerrüttung eines der führenden Komponisten des 20. Jahrhunderts.

Schostakowitsch weiss, dass der Geheimdienst nachts kommt. Eben ist die Tochter Galina zur Welt gekommen. «In seiner ersten Nacht am Fahrstuhl hatte er beschlossen, nicht zu rauchen. In seinem Koffer lagen drei Schachteln Kasbek, und die würde er brauchen, wenn sein Verhör begänne. Und für die Haft, falls die als Nächstes käme.»  Julian Barnes spürt in seinem Roman «Der Lärm der Zeit» Schostakowitschs Leben in der Sowjet-Diktatur nach und bleibt dabei nahe an den Quellen.

In Diktaturen ist die Wahrheit wechselhaft wie das Wetter. Schostakowitsch trägt dem Rechnung und hat sein Leben mehrmals erzählt, im Laufe der Jahre überarbeitet und nachgebessert. Seine Memoiren Zeugenaussage hat er Solomon Wolkow in den Mund gelegt und einen jahrzehntelangen Kampf um die Deutungshoheit entfacht. Beugte sich Schostakowitsch vor der Macht, als er sich 1960 zum 1. Sekretär des Komponistenverbandes wählen liess und in die Partei eintrat?

«Wer Ohren hat, zu hören, der höre», sagte er gerne. Mit Lady Macbeth etablierte Schostakowitsch seinen unverkennbaren Stil, eine Tonalität, die durch die Schule der Atonalität gegangen ist. Das lässt sich in den Préludes op. 34 für Klavier ebenfalls nachvollziehen – in gewitzten Bearbeitungen, gespielt von Inga Kazantseva, Anna Tchinaeva und Anna Tyka Nyffenegger. Schostakowitsch verweist mit der Reihenfolge und dem Gang durch alle Tonarten auf Frédéric Chopin.

Oft beginnt die Melodie gesittet und fusst wohlerzogen auf Tonika- und Dominantklängen. Unvermutet folgen Ohrfeigen – selbst Präludien können gefährlich werden.

Gefahr wittert das Politbüro auch in den Sinfonien 7, 8 und 9. Sie zeugten von «absichtlich» komplexen Formen textfreier Musik und würden sich von der sowjetischen Realität «frei» halten. Der Stalinpreisträger Schostakowitsch gerät 1948 unter Verdacht, insgeheim ein Dissident zu sein.

Zerrüttung macht krank. «Ich bestehe aus Glas und habe das Gefühl, bei jeder falschen Bewegung zu zerspringen», sagt er seinem Biografen Wolkow. Auf die Lähmungserscheinungen folgen mehrere Herzinfarkte. 1975 wird Schostakowitschs offener Sarg im grossen Saal des Moskauer Konservatoriums ausgestellt, flankiert von einer Ehrenwache aus hochrangigen Partei- und Regierungsfunktionären. Die Sowjetisierung hat den Ruf des Komponisten über das Ende des Kalten Krieges hinaus beschädigt.

In der Reihe ‹Feder und Bogen› möchten wir unser Publikum musikalisch und literarisch verführen und zu einer sinnlichen Entdeckungsreise einladen.

Lena-Catharina Schneider

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