Malerei und Musik im Strudel der Gefühle.
TEXT CORINNE HOLTZ

Bei Sonnenaufgang die Eigernordwand bewundern und ins Staunen kommen. Vielleicht still werden, eine Träne aus den Augen wischen. Alexandre Calame malt mit «Le Grand Eiger au soleil levant» 1844 Erhabenheit und Wunder der Alpen und setzt damit eine Wegmarke in der romantischen Schweizer Malerei von Heinrich Füssli bis zum frühen Arnold Böcklin.

«Im Herzen wild» heisst die Ausstellung im Kunsthaus über die Romantik in der Schweiz und ihren Beitrag zur Entwicklung der europäischen Landschaftsmalerei. Das ZKO spiegelt im Rahmen einer Matinée mit dem Kurator Jonas Beyer wilde Gefühle in der Musik des 19. Jahrhunderts.

Der Streifzug durch 70 Jahre Musikgeschichte leuchtet Publikumslieblinge aus. Botschafterin ist die Viola, das Streichinstrument mit der wärmsten Stimme, gespielt von Ryszard Groblewski.

Franz Schubert, in Resignation versunken, komponiert die Arpeggione-Sonate im Zeitalter von Biedermeier, Fürst Metternich und strenger Zensur. Johannes Brahms, schwierig zu verkaufen, überzeugt mit dem Streichsextett Nr. 1 erstmals ein breites Publikum. Arnold Schönberg, frisch verliebt, schreibt mit «Verklärte Nacht» sein erfolgreichstes Stück.

Wie sieht es in den Herzen der drei Komponisten aus, als diese Werke entstehen? Schubert verbringt den Sommer 1824 im ungarischen Zselíz, «wo ich einst glücklich war», in der Nähe der Komtesse Caroline Esterházy. Doch «Glück und Ruhe» wollen sich nicht einstellen. Schubert lässt sich Fugen von Bach und ein Opernlibretto nachsenden und sitzt über Kammermusik. Zurück in Wien kommt er im November einem Auftraggeber nach und schreibt eine Sonate für das Modeinstrument Arpeggione, eine Mischung aus Gitarre und Violoncello. Das Hauptthema des ersten Satzes gehört zu den ergreifendsten Erfindungen Schuberts. Die Melodie fliegt mit weiten Schwingen Richtung Himmel.

Brahms ist in Hochstimmung, als er sein erstes Streichsextett im Sommer 1860 am Rhein fertigstellt. Das Leben geht «so wonnig ein» wie selten, befindet der blonde Feuerkopf und zündet im Andante Variationen über ungarisierte deutsche Volkslieder.

Schönbergs «Verklärte Nacht» entsteht ebenfalls in der Sommerfrische. 1899 reist er mit dem Komponistenfreund Alexander Zemlinsky nach Payerbach am Semmering und verliebt sich folgenschwer in die Schwester seines Freundes: in die begabte Pianistin Mathilde Zemlinsky. Sie befeuert die Niederschrift des erotisch lodernden Streichsextetts und wird später Schönbergs erste Ehefrau.

Die Erfolgsgeschichte erzählt auch Schönbergsche Tragik. «Verklärte Nacht» sollte neben der Kammersinfonie die einzige Musik bleiben, die der jüdische Emigrant dem Verleger in den USA anbieten kann. Schönbergs atonale Musik hingegen hat es schwer, bis heute.

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