ZKO-Intendant Michael Bühler und Music Director Daniel Hope sprechen im neuen Opus über die neue Saison 2018/19. Sie verraten, was es mit dem neuen Saisonmotto «Musik für die Sinne» auf sich hat und welche Rolle dabei das Publikum spielt. Zudem geben sie Einblicke auf ihre Sicht der Dinge im Bezug auf die Verknüpfung zwischen Musik und Sinnlichkeit.
Michael Bühler, Daniel Hope – in dieser Saison stehen die Sinne als Slogan über dem Programm des ZKO. Ist Musik an sich nicht sinnlich genug?
Bühler: Eine gute Frage – sie hat uns auch lange umgetrieben. Für mich lautet die Antwort: Doch, Musik an sich ist Sinnlichkeit in allen Facetten. Aber es geht ja auch darum, diese Erkenntnis spürbar werden zu lassen. Genau das haben wir mit unserem Programm vor.. Es geht uns dabei nicht darum, von der Musik abzulenken, sondern im Gegenteil ein neues, vielschichtigeres Hören zu ermöglichen. Wenn wir unsere Sinne schärfen, nehmen wir unsere Umwelt und damit letzten Endes auch die Musik viel intensiver wahr.
Hope: Genau. Und diese sinnliche Erfahrung kann man nicht genug fördern. Der Pianist Daniel Barenboim predigt immer wieder, dass in der Musik genau jene Qualitäten spielerisch aktiviert werden, bei denen wir ein gesellschaftliches Defizit feststellen: Musik zwingt uns zum Zuhören, zur Kommunikation, Musik ist Rhythmus und Harmonie, fördert mathematisches Denken und verfeinert die Bewegung.
«Der Fokus liegt heute allzu oft auf dem Konkreten, dem Getakteten, dem Effizienten. Das Sinnliche wird vernachlässigt.»
Bühler: Ich vergleiche das gern mit dem Tauchen. Man sinkt unter die Wasseroberfläche, ist aber zunächst noch völlig mit Eindrücken aus dem Alltag beschäftigt, mit dem Tauchequipment, das richtig funktionieren muss … Irgendwann aber hält das Gedankenkarussell an, man wird ruhig und spürt diese grosse Stille, die alles umgibt. Allmählich nimmt man die wundervolle Unterwasserwelt wahr. Pflanzen wiegen in der Strömung, Fische umschweben Korallenriffe, Krebse huschen über den Boden – eine farbige Welt voller Schönheit tut sich auf. Diese wundervolle Erfahrung lässt sich auch im Konzertsaal machen. Auch dort geht es darum, zuerst einmal bei sich anzukommen, Ruhe zu finden und sich dann, mit einer ganz neuen Präsenz, auf die Musik einzulassen.
Hope: Mir gefällt dieser Gedanke sehr. Wir vergessen oft, dass die Stille der Anfang aller Musik ist. Ein Konzert beginnt in der Stille und endet in der Stille. Alles dazwischen ist durch Klang gestaltete Zeit. In dieser Zeit haben wir die Möglichkeit, all unsere Sinne zu befragen und vollkommen neue Erfahrungen zu sammeln.
«Die Stille ist der Anfang aller Musik.»
Menschen wieder mit sich und ihren Sinnen in Berührung bringen, der Hektik unserer Tage etwas ganz anderes entgegensetzen – das hört sich alles sehr ambitioniert an. Kann ein Kammerorchester wie das ZKO tatsächlich die Welt verändern?
Bühler: Das ist ja gar nicht unser Anspruch. Im Gegenteil, ich halte es für einen Fehler, wenn Orchester oder Konzertveranstalter ihr Publikum bevormunden oder es gar erziehen wollen. Für mich ist es viel wichtiger, zuzuhören. Ich geniesse es, Rückmeldungen aus dem Publikum zu bekommen, zu erfahren, was unsere Gäste empfinden – und darauf zu reagieren.
Hope: Gerade hier in Zürich spüre ich diese Nähe zum Konzertbesucher ungemein, und zwar egal, ob es sich dabei um einen 17-jährigen Zuhörer oder eine 73-jährige Zuhörerin handelt. Musik darf nicht ausschliessen, sie soll integrieren, nicht erziehen, sondern für das eigene Hören, die eigenen Erfahrungen sensibilisieren. Ich spiele so gern mit dem ZKO, weil all das bei diesem Orchester stattfindet. Es ist hier nicht so, dass man als Künstler auf die Bühne kommt, ein bisschen geigt, Applaus bekommt und wieder nach Hause geht. Man nimmt auch als Musiker etwas mit: neue Gedanken, Erfahrungen, neue Kontexte. Deshalb fühle ich mich hier so wohl. Das ZKO ist ein offenes Orchester und erwartet auch von seinen Musikern und Gästen diese Offenheit.
«Das ZKO ist ein offenes Orchester und erwartet auch von seinen Musikern und Gästen diese Offenheit.»
Bühler: Es ist schön, Daniel, dass du das so wahrnimmst. Musizieren ist bei uns ein Akt kollektiver Leidenschaft. Mit dieser Leidenschaft werden wir in Zukunft immer wieder Neues probieren, aber gleichzeitig auch an der Tradition festhalten, etwa dann, wenn Sir Roger Norrington zum ZKO zurückkehrt.
Hope: Und wir haben auch in dieser Saison wieder grossartige Solisten eingeladen, die unsere Philosophie mittragen: die Schauspielerin Iris Berben, schillernde Sängerpersönlichkeiten wie Simone Kermes und Andreas Scholl, Instrumentalisten wie Cameron Carpenter, Lars Vogt, Martin Helmchen, Rudolf Buchbinder, Nicolas Altstaedt und viele mehr. Ich spüre, dass wir noch viele Abenteuer vor uns haben und freue mich sehr auf die neue Saison. ab
Das Interview lesen Sie auch im aktuellen OPUS.