Martin Helmchen kehrt zum ZKO zurück – als Medium Mozarts. Ein Gespräch über Kontrolle, Rauschzustände und den Unterschied von Künstler und Publikum.
Martin Helmchen, Sie spielen in Zürich Mozarts Es-Dur-Konzert, von dem Kritiker auch sagen, es sei ein musikalischer Rückschritt.
Das kann ich nicht verstehen. Für mich ist KV 482 das vielleicht spannendste aller Mozart-Konzerte. Es heisst, Mozart habe hier keine Neuerungen mehr erfunden. Dabei entdeckt man hier Dinge, die man nirgendwo anders bei Mozart findet: Zum einen die Radikalität der Wandlungen und der Brüche innerhalb der Komposition, zum anderen, etwa im letzten Satz, diese Mischung aus typischem Mozart-Zuckerguss und dem Mut zur Radikalität, zur andauernden Wiederholung, die aber nie eine Wiederholung im wirklichen Sinne ist, sondern ein ewiges Spiel mit minimaler Veränderung. Wenn man will, kann man in diesem Werk sogar schon Beethovens 4. Klavierkonzert voraushören. Ich sehe es so: Mozart experimentiert hier gewaltig, befragt sich selbst und seine Methoden und kreiert etwas einmalig Neues. Aber man muss sich auf all das einlassen. Ich habe mir dieses Werk von innen her erschlossen, durch dauerndes Spielen und Entdecken.
Was meinen Sie mit «von innen her erschlossen»? Dass Mozart sich nur schwer analytisch erschliessen lässt?
Das könnte man so sagen: Mozarts Musik klingt zunächst simpel. Natürlich hilft einem eine normale harmonische Analyse, um die Musik zu verstehen. Aber dem Mozart-Geheimnis kommt man am Ende so kaum auf die Spur. Dafür muss man sich mit dem Werk verbinden, es spüren, sich überraschen lassen – sich vollkommen einlassen auf diese Musik. Gerade beim KV 482 gibt es Stellen, in denen man schnell die Kontrolle verliert, weil die Musik derart überwältigend ist. Ich hatte das einige Male im Schlussteil, dass mir die Tränen kommen wollten, dass ich mich dieser Komposition absolut ausgeliefert gefühlt habe, dass ich gespürt habe, dass alles in mir Emotion sein wollte und es mir schwer fiel, den Logos der Interpretation, das Wissen und die Technik zu kontrollieren. Mozarts Musik schafft es immer wieder, vollkommene Kontrolle über den Interpreten zu gewinnen.
«Beim Schlussteil kamen mir bereits einige Male die Tränen.»
Sie meinen, Sie werden beim Mozart-Spiel zu einer Art Medium?
Das trifft es ganz gut, ja. Man ist bei ihm so etwas wie ein Transmitter, ein Körper, durch den die Musik hindurchgeht. Ich glaube, sobald man etwas von Mozart will, wird es schwer, seine Musik zu interpretieren. Das ist anders bei Beethoven, wo man das Ringen mit der Form und den Kampf mit dem perfekten Klang hört. Bei Mozart scheint die Musik eher zu fliessen, sie bietet einem keinen Reibungspunkt, sondern will nur gespielt werden.
Musik kann also das Vergangene mit dem Gegenwärtigen verbinden?
Genau. Oder anders ausgedrückt: Musik kann uns auf das Überzeitliche zurückwerfen, auf die grossen, ewigen Gefühle des Menschen. Wenn wir Barockmusik singen, beamen wir uns nicht zurück in alte Zeiten, sondern stehen noch immer im Hier und Jetzt, wissen dabei viel mehr über die Technik und haben vollkommen andere, moderne Möglichkeiten der Interpretation. Aber all unser Wissen dient lediglich dazu, das Übergrosse und das Allgemeingültige so emotional wie möglich auf die Bühne zu bringen und dabei so etwas wie die Seele der Musik herauszuarbeiten. In diesem Prozess kann es durchaus vorkommen, dass man sein eigenes Ich in der Musik eines anderen vollkommen neu entdeckt.
«Nur» hört sich einfach an. Aber gerade dieses «nur» scheint besonders schwer zu sein, oder?
Es ist das Schwerste überhaupt! Das müssen Sie erst einmal zulassen: Nichts mehr zu wollen, sich wirklich nur als Medium zu verstehen, die Musik durch sich selbst fliessen zu lassen.
Während Beethovens Autografe voller Korrekturen sind, wirken Mozarts Partitur-Handschriften wie hingewischt. Glauben Sie, dass der Akt der Komposition auch den zweiten Schöpfungsakt der Interpretation bestimmt?
Ich halte diese These nicht für abwegig. Tatsächlich scheint es, dass man den Produktionsprozess in der Musik mithört: ob das Komponieren ein Kampf mit der Form und der Welt war, wie eben bei Beethoven, oder ein organisches, natürliches Fliessen, so wie bei,Mozart. Während Beethoven uns auffordert, mit ihm und der Welt zu ringen, stellt sich bei Mozart eher eine Einheitserfahrung mit seiner Musik ein.
Wo sind Sie, wenn Sie Mozart spielen? Nur in seiner Musik?
Manchmal fühlt es sich so an. Aber als Musiker können wir uns den Rauschzustand während des Spiels kaum erlauben. Das Denken, das Wissen, die technischen Voraussetzungen müssen immer auch Teil des Spiels sein. Ideal ist es, wenn all das zur Selbstverständlichkeit wird und es einem tatsächlich vorkommt, als würde man sich vollkommen natürlich in der Musik bewegen.
Wenn sich der Interpret ein Werk «von innen her erschliesst», fällt es dann automatisch auch dem Publikum leichter, die Musik zu verstehen?
Ich glaube, dass es einige Dinge gibt, die man nur als ausübender Musiker erfahren kann. Auf der anderen Seite gibt es auch musikalische Erlebnisse, die man nur im Publikum macht. Letztlich ist jede Interpretation eine Einladung des Interpreten. Er bietet dem Publikum an zu hören, was er selbst in der Musik wahrnimmt. Und es ist eines der schönsten Erlebnisse, wenn sich Künstler und Publikum am Ende im gleichen Mozart-Raum befinden. ab
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