Mitten im Beethoven-Jubiläumsjahr feiern der Dirigent Sir Roger Norrington und Pianist Sebastian Knauer den grossen Komponisten mit seiner zweiten Sinfonie und dem vierten Klavierkonzert.

Wenn der Ehrendirigent des Zürcher Kammerorchesters, Sir Roger Norrington, über Ludwig van Beethoven spricht, macht er keine Kompromisse. «Beethoven bietet uns in seiner Musik Überraschungen oder gar Formen des Schocks an, die noch immer funktionieren», sagt er. «Seine Mittel mögen vielleicht von gestern sein, seine Wirkung aber ist vollkommen gegenwärtig. Auch 250 Jahre nach seinem Geburtstag rüttelt Beethoven noch immer an den Urfesten unseres Menschseins.»

«Beethoven rüttelt an den Urfesten unseres Menschseins.»

Die von Sir Roger beschriebene Radikalität Beethovens wird besonders in seinem vierten Klavierkonzert deutlich. Hier verschmelzen zum ersten Mal in der Geschichte der Musik die Genres Sinfonie und Klavierkonzert zum sogenannten sinfonischen Klavierkonzert. Idyllisch-lyrische Gedanken ziehen sich durch die drei sehr kontrastreichen Sätze.

Der Pianist Sebastian Knauer ist ebenfalls ein kompromissloser Beethoven-Verehrer und für seinen akribischen und wissenden Ansatz bekannt. Seit vielen Jahren arbeitet er mit Sir Roger zusammen. Bereits 2005 haben sie gemeinsam eine Mozart-CD vorgestellt. 2011 folgte die Aufnahme «Bach & Sons» mit dem Zürcher Kammerorchester und 2017 den zweiten Teil dieser erfolgreichen Reihe. Knauer und Sir Roger stehen für einen informierten, radikalen und lustvollen Beethoven-Klang.

In Beethovens zweiter Sinfonie verbinden sich einschneidende biografische Erlebnisse des Komponisten mit seiner Musik. Die Entstehung fällt in jene Zeit, in der Beethovens Gehörverlust immer offensichtlicher wurde. Noch gab er die Hoffnung auf Besserung allerdings nicht auf. An seinen Freund Franz Gerhard Wegeler schrieb Beethoven damals: «Ich will dem Schicksal in den Rachen greifen, ganz niederbeugen soll es mich gewiss nicht.» Die gesamte Sinfonie ist von einer positiven Grundstimmung der Hoffnung geprägt. Erst nach der Vollendung dieser Musik war Beethoven bereit, sich seinen allmählichen Hörverlust einzugestehen.

«Ich will dem Schicksal in den Rachen greifen.»

Es mag das individuelle biografische Ringen sein, das wir in seiner Musik hören. Aber Beethoven gelingt es stets, derartige private Kämpfe über das eigene Ego zu erheben. «Ich glaube sehr wohl, dass Beethoven uns auch heute noch ergreift», erklärt Sir Roger, «denn es geht ihm ja nie um die Beschreibung einer konkreten Zeit, sondern eher um allgemeingültige Menschheitsgefühle. Und wenn wir ehrlich sind, haben wir uns als Menschen nicht wirklich viel verändert. Vielleicht haben wir heute andere Manieren, aber unsere Ängste und Emotionen sind noch immer die gleichen.»

Sir Roger, der gerade mit dem Heinrich-Schütz- Preis ausgezeichnet wurde, hat mit dem Zürcher Kammerorchester einen ganz eigenen Beethoven- Klang entwickelt. «Das ZKO war, als ich kam, auf einen eher traditionellen Ton eingeschworen», erinnert sich der Dirigent. «Gemeinsam haben wir uns der Klangreinheit verschrieben und versucht, das Historische hörbar zu machen.»

Ein Abend, der Beethoven als humanistisches Ereignis vorstellt. Die Schauspielouvertüre zu «Coriolan» ist eine perfekte Einstimmung dafür: ein Stück, in dem es um den römischen Patrizier Gnaeus Marcus Coriolanus geht, der Rom den Krieg erklärt, sich dann aber in einer gänzlich unerwarteten Kehrtwendung zum Friedensschluss bereit erklärt. Das innere Ringen zwischen Macht und Unsicherheit setzt Beethoven von den machtvollen Tutti-Schlägen der Einleitung bis zum Motiv der Unruhe immer wieder in Szene. ab

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