Dank Daniel Hope und dem ZKO bringt die Adventszeit klingende Leckerbissen: spätromantische Musik von Nielsen und Sibelius – und ganz viele süsse Versuchungen aus Nordamerika, die man sich einmal im Jahr ja gönnen darf.

TEXT FELIX MICHEL

Mit dem musikalischen Geschmack ist es ein bisschen wie mit der Ernährung: Das ganze Jahr über halten wir uns ans Gesunde, Ausgewogene. Was dort das frühmorgendlich selbstgeraffelte Birchermüesli ist, ist hier die nahrhafte Bach-Fuge, die wir uns natürlich am besten in einer Cembalo- Aufnahme ohne jeden Steinway-Süssstoff anhören. Mittags bitte kein Convenience-Food, und ergo auch kein CD-Genuss, sondern brav selber die auf dem Klavier liegende Beethoven-Sonate üben. Abends selbstverständlich Brahms und Hülsenfrüchte. So ungefähr sähe das Ideal in beiden Lebensbereichen aus. Wer es – wie der Schreibende – da wie dort dann doch stets verfehlt, darf sich immerhin in Zerknirschung suhlen.

Aber dann gibt es ja zum Glück eine Jahreszeit, wo die Askese Pause machen darf. Weihnachten! Sogar Veganer naschen da Schmorbraten, um den kochenden Onkel nicht vor den Kopf zu stossen. Und die 200 Gramm Kristallzucker stehen halt so in Grossmutters Guetzli-Rezept – an Traditionen wird nicht gerüttelt. Selbst wenn der Dezemberföhn weisse Weihnachten vereitelt, so breitet sich doch dick wie Schnee der Zuckerguss über allerlei Gebäck aus.

Auch die alljährliche weihnächtliche Nascherei hat ein musikalisches Pendant: amerikanische Christmas-Songs! Zugegeben, das ganze Jahr durch «Have Yourself a Merry Little Christmas» zu hören, das wäre zu viel des Süssen. Aber sobald es früh dunkel wird und Nieselregen die Stimmung trübt, passt Irving Berlins «White Christmas» eben perfekt. Und wenn solche musikalischen Guetzli serviert werden, dann bitte mit raffinierter Glasur! Also genau so, wie der britische Arrangeur Paul Bateman die Weihnachtsklassiker für Daniel Hope und das Zürcher Kammerorchester frisch zubereitet hat: etwas Hollywood mit Salonmusik und einer Prise Jazz vermengt, das Ganze überzogen mit schillerndem Streicherschmelz. Wer genau hinhört, entdeckt als Streusel obendrauf das eine oder andere Zitat aus weiteren saisonalen Hits.

Nun ist die Musik der Einwanderernation Amerika ja oft «World Cuisine». Bei Weihnachts-Songs ist es nicht anders: Mel Tormé, der die Musik zum verträumten Hit The Christmas Song geschrieben hat, war das Kind polnischer Immigranten. Irving Berlin, der das unverwüstliche White Christmas 1942 für ein Filmmusical schrieb, war sogar noch im russischen Zarenreich als «Israel Beilin» zur Welt gekommen. Daniel Hope hat die Stücke nicht nur wegen seiner Sensibilität für solche Schicksale ausgewählt, sondern schlicht auch darum, weil er über einen riesigen künstlerischen Horizont verfügt.

So umfasst die musikalische Guetzli-Büchse von Daniel Hope seltener gebackene Sorten wie das wunderschöne, langsam schwingende A Child is Born, eigentlich ein Flügelhornsolo, das der Jazztrompeter Thad Jones um 1970 für seine Big Band geschrieben hat. Oder Maybe this Christmas des zeitgenössischen kanadischen Singer-Songwriter Ron Sexsmith, der hier am Melodiebeginn auf Adeste Fideles anspielt, ein im ganzen englischsprachigen Raum verbreitetes «Carol». Als traditionsreiches Lied, dem die im historischen Dunkeln sich verlierenden Wurzeln einen fremdartigen Touch verleihen, ist es sozusagen das Anis-Guetzli in der Büchse.

So schön, so süss, so gut. Aber wer kennt nicht auch das Gefühl von Zucker-Überfütterung und Winterdepression, das ebenso unvermeidlich zu Weihnachten gehört wie Lichterglanz und Nächstenliebe? Da helfen die Humoresken für Solo-Violine und Orchester von Jean Sibelius. Wunderschöne Musik auch sie, aber – wie der Titel ja verspricht – mit Humor kräftig gewürzt. Sibelius’ Humor ist mal warmherzig, nicht selten grimmig, bisweilen von fast angewiderter Schärfe. Und gelegentlich schimmert dann doch Betrübnis durch, aber das wollen wir dem Komponisten nicht verübeln – im Gegenteil, wir kennen das ja selber und danken es ihm, musikalischen Ausdruck dafür gefunden zu haben.

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