Die Mezzosopranistin Vesselina Kasarova und der Music Director Daniel Hope erkunden gemeinsam mit dem Zürcher Kammerorchester Klänge der Erinnerung.

Vor 28 Jahren zog die Mezzosopranistin Vesselina Kasarova in die Schweiz. Das war damals ein Kulturschock für die gebürtige Bulgarin: die Metropole Zürich, die Menschen, das Leben. Inzwischen wohnen sie und ihr Schweizer Ehemann im beschaulichen Zollikon. Der «Zürichsee-Zeitung» sagte die Sängerin einmal: «Von meiner Heimat Stara Zagora in Bulgarien bin ich das Leben in einer kleineren Stadt gewohnt. Es entspricht mir mehr als das Leben in einer Grossstadt. Deshalb fühle ich mich hier inzwischen auch so wohl.» Ihre eigentliche Heimat Bulgarien hat Kasarova aber nie ruhen lassen. Dort liegen die Erinnerungen an ihre Eltern, an die Menschen, die Rituale und die Musik, mit der sie aufgewachsen ist. Genau diese Musik steht nun auf dem Programm, wenn die Sängerin gemeinsam mit Daniel Hope und dem Zürcher Kammerorchester einen Abend bestreitet, der ganz auf sie und ihr Leben zugeschnitten ist: auf den Soundtrack ihrer alten Heimat genauso wie auf ihre Karriere in Zürich und an den Opernhäusern der Welt.

«Ihre eigentliche Heimat Bulgarien hat Kasarova nie ruhen lassen.»

Die traditionellen bulgarischen Volkslieder, die an diesem Abend erklingen, erinnern die Sängerin an ihre Jugend. Bereits mit vier Jahren erlernte sie das Klavierspiel an der Musikschule ihrer Heimat, dann ging sie an die Musikakademie in Sofia und trat – noch als Studentin – zum ersten Mal an der Nationaloper auf. Auch Béla Bartók spielte eine wesentliche Rolle in ihrer Kindheit. Das Zürcher Kammerorchester interpretiert nun seine rumänischen Volkstänze, die hier für Streichorchester bearbeitet sind. Mit 24 Jahren machte sich der Komponist, ausgerüstet mit Spazierstock, Rucksack und Phonograph, auf Wanderschaft. Bartók war frustriert von der verkitschten Pseudo-Heimatmusik, die in Budapests Kaffeehäusern gespielt wurde. Er selber wollte keine Klischees komponieren, sondern zurück zu den Ursprüngen. So sammelte er Tänze und Musik vom Land und nahm sie mit an seinen Schreibtisch. Herausgekommen ist eine Sammlung an Volkstänzen, die er in acht Teile gliederte. Ebenso wie Vesselina Kasarova, die sich auch nach einem Vierteljahrhundert in der Schweiz noch immer sehnsuchtsvoll an die Klänge ihrer Kindheit in Bulgarien erinnert, wollte Bartók den authentischen Klang seiner Heimat wiederbeleben und in der Kunst verewigen.

Kasarovas internationale Karriere begann in Zürich. Hier sang sie zunächst in den Opern von Rossini und Mozart – unter anderem an der Seite von Legenden wie Edita Gruberová. Es ist also nicht verwunderlich, dass der zweite Teil des Abends ganz im Zeichen der Musik Mozarts steht. «Bei Mozart wird man immer ganz direkt mit seinen eigenen Gefühlen konfrontiert», hat Kasarova einmal gesagt. «Seine Opern taugen dazu, etwas für das wahre Leben zu lernen. Ich glaube, das hat etwas damit zu tun, dass seine Charaktere nie pathetisch, unnatürlich oder grösser als im wahren Leben sind – sie sind Menschen mit echten Gefühlen und Emotionen. Wenn man seine Opern heute singt, merkt man auch, wie zeitlos ihre Themen sind. Oder anders gesagt, wie das Genie Mozart es geschafft hat, den grossen, aber auch den kleinen Gefühlen der Menschen einen universellen Klang zu geben, der noch heute rührt, bewegt und inspiriert.» Und um diese Gefühle geht es auch in den Mozart-Arien, die Kasarova in ihrem Programm mit dem ZKO singen wird. «Venga pur, minacci e frema» und «Già degli occhi il velo è tolto» aus «Mitridate, Re di Ponto». Die Oper ist ein Verwirrspiel, das der König von Pontus anrichtet, um seine beiden Söhne – der eine ein Anhänger der Griechen, der andere der Römer – auf die Probe zu stellen. Der König lässt seinen eigenen Tod verkünden, um zu sehen, was passiert.

Vier Jahre nach der Uraufführung der Oper schrieb Mozart seine 29. Sinfonie in A-Dur. Sie gilt als einer der vorläufigen Höhepunkte im Schaffen des Komponisten. In seiner Mozart-Biografie schrieb Alfred Einstein: «Es ist ein neues Gefühl für die Notwendigkeit der Vertiefung der Sinfonie durch imitatorische Belebung, ihre Rettung aus dem bloss Dekorativen durch kammermusikalische Feinheit. Die Instrumente wandeln ihren Charakter; die Geigen werden geistiger, die Bläser vermeiden alles Lärmende, die Figurationen alles Konventionelle. Der neue Geist dokumentiert sich in alles Sätzen.»

Und so ist dieser Abend eine Suche nach der Heimat in uns allen, nach dem ewig Neuen im ewig Alten – und eine biografische Reise der grossartigen Sängerin Vesselina Kasarova. (Text: Axel Brüggemann)

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