Sir Roger Norrington kehrt nach Zürich zurück, um weiter an seinem Beethoven-Zyklus zu tüfteln. Dieses Mal gemeinsam mit dem Geiger Gil Shaham.
Die Aufführung von Beethovens 7. Sinfonie mit Sir Roger, dem ehemaligen Chefdirigenten des ZKO, war ein eindrückliches Ereignis der letzten Spielzeit. Sir Roger hatte damals angekündigt, er wolle den Zuhörern mit Beethoven «Angst einjagen» – und das ist ihm auch gelungen. Kaum ein anderer Dirigent nimmt Beethoven so ernst wie Sir Roger, findet das Abgründige in den Partituren, die Extreme, das historisch informierte Grosse und Ganze und gleichzeitig den Spiegel unserer heutigen Welt. Nun kehrt Sir Roger zurück und bastelt gemeinsam mit dem Orchester weiter an seinem Beethoven-Zyklus. Auf dem Programm stehen zwei Werke, die beide im Jahr 1806 entstanden sind: die 4. Sinfonie und das Violinkonzert.
In seiner 3. Sinfonie hatte sich Beethoven noch mit einem heldischen Schlachtengemälde an der Welt und dem Zeitgeist abgearbeitet. Vor der Vierten war Beethovens persönliche Situation eine ganz andere: Der Komponist war euphorisiert von seiner Liebe zur gerade verwitweten Comtesse Josephine Brunsvik. Seine Zeitgenossen bemerkten, dass er das Griesgrämige seines Charakters verlor, oft zu Scherzen und zu allerhand ironischen Kommentaren aufgelegt war. Genau diese Grundstimmung prägt auch seine 4. Sinfonie, von der Robert Schumann einmal sagte, sie sei die «romantischste» aller Beethoven-Sinfonien, «eine griechisch schlanke Maid zwischen zwei Nordlandriesen». Der andere Nordlandriese sollte dann Beethovens 5. Sinfonie, die Schicksalssinfonie, werden.
Die Emotionen, um die es in Beethovens 4. Sinfonie geht, sind Gefühle der Sehnsucht, der Liebe, der Freude an der Natur und der Ausgelassenheit. Es braucht zwar einige Zeit, bis sich die positive Grundstimmung einstellt. Denn die Adagio-Einleitung im düsteren b-Moll charakterisiert zunächst einmal eine Melancholie, eine menschliche Trauer, ein Sinnieren. Aber gerade dieser Beginn lässt die spätere Ausgelassenheit umso wirkungsvoller erscheinen. Nicht ohne Grund verwendete Beethoven Ideen seiner Vierten später auch für seine Schlachtensinfonie «Wellingtons Sieg».
«Beethovens Violinkonzert galt lange als unspielbar.»
Ebenso wie bei Erarbeitung der 7. Sinfonie wird Sir Roger nun wieder in Beethovens Welt, sein Leben, seine Handschriften und Noten abtauchen, um jenen Klang zu rekonstruieren, der zeitlos ist. Sir Roger wird gemeinsam mit dem Zürcher Kammerorchester das richtige Tempo und den richtigen Klang finden.
Genau dafür ist auch der Geiger Gil Shaham zu begeistern. Der US-amerikanische Virtuose aus Illinois spielt auf einer Stradivari aus dem Jahre 1699 und hat mit Künstlern wie Zubin Mehta oder André Previn zusammengearbeitet. Beim Konzert am 13. November interpretiert er gemeinsam mit Sir Roger und dem Zürcher Kammerorchester Beethovens Violinkonzert in D-Dur. Es ist im gleichen Jahr wie die 4. Sinfonie entstanden. Lange hielt man das Konzert, das Beethoven für seinen Freund, den Geiger Franz Clement, komponiert hatte, für unspielbar. Weltberühmt wurde es erst 17 Jahre nach Beethovens Tod, als der damals erst 12-jährige Geiger Joseph Joachim das Konzert unter der Leitung von Felix Mendelssohn aufführte. Seither gilt Beethovens Violinkonzert als Meilenstein der Geigenliteratur.
Shaham erinnert gern an Beethovens eigene Worte: «Musik ist höhere Offenbarung als alle Weisheit und Philosophie.» Genauso denkt auch Shaham. «Wir können unser Innerstes, das, was uns eigentlich ausmacht, in unserer Musik spiegeln. Es hat schon seinen Grund, dass die Musik die ‹Kunst der Gefühle› genannt wird. Und ich glaube, dass für uns Menschen Gefühle die stärkste Kraft in unserem Universum sind.» Gemeinsam mit Sir Roger und dem Zürcher Kammerorchester wird er nun im tiefen Wissen um das Leben und das Werk Beethovens sein Violinkonzert interpretieren.
Klangraum wird zum Bildraum
Als der Philosoph Peter Sloterdijk darüber nachdachte, wo wir sind, wenn wir Musik hören, antwortete er: «in der Musik selber». Denn Musik präsentiert sich dem Hörer nicht als Gegenüber wie das Bild oder das Buch – beim Hören sind wir vom Klang umgeben, Musikhören schafft einen eigenen Raum. Mit dem Schaffen von Räumen kennen sich auch die 3D-Künstler von Projektil aus. Mit ihren Projektionen kreieren sie vollkommen neue Szenerien und erwecken bisher unbewegte Objekte zum Leben. Jeden Herbst bespielen die Technik- und Kunstfreaks das Bundeshaus in Bern mit bewegten Geschichten, das Zürcher Opernhaus liessen sie einst durch einen Speerwerfer zum virtuellen Einsturz bringen. Diese Saison wird sich Projektil gleich zwei Mal mit der Musik des ZKO auseinandersetzen. Im nächsten Sommer, wenn die Gruppe Räume für Max Richters Neubearbeitung der «Vier Jahreszeiten» kreiert und zum Beethoven-Konzert mit Sir Roger, wenn Projektil das Maag-Areal vollkommen neu in Szene setzt und dabei auf das Programm des Abends eingeht.
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