Cameron Carpenter spricht im Interview mit dem ZKO über sein Zürcher Programm mit Bach, Poulenc und Gershwin.
Cameron Carpenter, in Zürich spielen Sie neben eigenen Improvisationen Werke von Bach, Poulenc und Gershwin. Beginnen wir mit Bach: Ist seine Musik heute noch eine Möglichkeit, unsere verrückte Welt ein wenig zu ordnen?
Das hört sich immer so gut an, aber um ehrlich zu sein, glaube ich nicht an diese Effekte der Musik. Die Welt ist heute viel komplizierter, es leben viel mehr Menschen auf der Erde – nein: Bach hilft uns kaum, unser eigenes Chaos zu ordnen. Es ist als Künstler heute schwer, keine Botschaft zu haben, keine aktuelle Bedeutung, sondern nur die geniale Musik, die einem gefällt. Es braucht Mut zu sagen: «Ich spiele ein Stück einfach nur, weil ich es grossartig finde.» Genauso ist es aber bei mir und Bach.
Sie haben Bach immer wieder gehörig gegen den Strich gebürstet …
… so sehen das einige. Ich sehe das anders. Ich habe mich mit Bach beschäftigt. Als Mensch sagt er mir gar nichts: zu religiös, zu fanatisch. Gäbe er die in seinen Briefen enthaltenen Aussagen heute öffentlich von sich, würde sich in der Strassenbahn wahrscheinlich niemand neben ihn setzen. Aber als Musiker war er ein Genie! Er hat die Wissenschaft in die Musik geholt, eine Idee, die erst viel später bei anderen Komponisten populär wurde. Er ist so etwas wie der erste Architekt der Musik, an dem sich eigentlich alles Nachfolgende orientiert. Das ist, was mich fasziniert – nicht der Mensch, nicht seine religiöse Botschaft, sondern seine Musik als Selbstzweck!
Auch Francis Poulenc dürfte Ihnen dann als Mensch nicht gefallen haben – er war ebenso gläubig wie Bach.
Aber Poulenc war auch ein Pariser Strassenjunge. Die Gläubigkeit interessiert mich nicht, wenn sie nicht den Kern der Musik betrifft. Es ist klar, dass damals fast jeder irgendwie Christ oder Jude war. Bei Poulenc interessiert mich etwas anderes: Alle schwärmen von der Bearbeitung Maurice Duruflés, aber ich mochte sie nie – auch deshalb, weil mir Duruflés nationalistische Einstellung suspekt ist. Mir ging es darum, seinen Einfluss auf die wunderbare Musik Poulencs vergessen zu machen. Ich habe die Register, wie Duruflé sie vorschlägt, einfach gestrichen.
Am Ende Ihres Programms in Zürich spielen Sie Gershwin – wie fügt sich dieser Komponist ins Programm ein?
Als amerikanischer Komponist passt Gershwin zum einen sehr gut zur Orgel. In Europa denken die Leute oft, dass die Orgel ein typisch europäisches Instrument sei, aber das ist Quatsch! Die europäische Orgel war zwar eine grossartige Erfindung, im Zeitalter der Elektrizität wurde sie dann aber von den Amerikanern auf ein neues Level gehoben – ich denke da etwa an die Theater- oder die Kinoorgel, an diese Monster und technischen Wunder, die in den USA entwickelt wurden. Und was Gershwin mit Bach vereint, ist, dass seine Werke wunderbar für jegliche musikalische Konstellation geeignet sind. Bei Bach funktioniert ein Quartett auch für die Orgel, ein Flötenkonzert auch für die Geige. Genauso ist es bei Gershwin: Er hat universelle Musik komponiert, die auf jedem Instrument gespielt werden kann, etwa die «Rhapsody in Blue».
Und bei ihm gibt es auch keine religiösen Vorbehalte?
Gershwins Religion war eine sehr moderne Religion, die Religion der Werbung! Und ich liebe diese Religion! Wenn Sie so wollen, ist auch meine International Touring Organ ein Instrument, das die Religion der Werbung in die Welt trägt: Werbung für das Instrument an sich, für das Konzertereignis im Hier und Jetzt. Wenn man es so betrachtet, hat letztlich auch Bach die Musik bereits als Werbung genutzt – in seinem Fall einfach als Werbung für das Versprechen des Himmels. ab
Dieses Interview lesen Sie auch im aktuellen OPUS.