Anne Sofie von Otter singt im Fraumünster Lieder von Johann Sebastian Bach bis Irving Berlin.

Die Mezzosopranistin Anne Sofie von Otter hat, gemeinsam mit Daniel Hope, ihr ganz individuelles Weihnachts-Konzertprogramm zusammengestellt. Eine Weltreise durch geistliche und profane Musik zur Zeit der Besinnung. Im Interview spricht sie über Weihnachten, Bach und Bing Crosby.

Anne Sofie von Otter, Sie singen in Zürich ein Programm mit ganz unterschiedlichen Weihnachtsliedern von Bach bis Irving Berlin. Was macht ein perfektes Weihnachtslied für Sie aus?

Daniel Hope und ich haben uns lange überlegt, welche Lieder wir für diesen Abend auswählen. Manche stehen direkt mit Weihnachten in Verbindung, andere passen einfach gut in dieses Programm, so wie die beiden Händel-Arien. Das erklärt schon unsere Herangehensweise: Es ist nicht unbedingt der Inhalt, der ein Lied für ein Weihnachtskonzert passend macht, sondern die Stimmung, die es ausstrahlt. Das war die Kategorie, die wir gewählt haben: Die Musik soll zum Dezember passen und zur Atmosphäre im wundervollen Fraumünster.

Warum geniessen Menschen zur Weihnachtszeit die Musik so sehr? Weil sie einen direkten Dialog mit Gott ermöglicht oder uns grundsätzlich an Mitmenschlichkeit und Frieden erinnert?

Vielleicht ist alles ja auch viel profaner: Für mich persönlich beginnt mit Weihnachten das Ende eines Jahres und man hat bis Silvester Zeit, das Alte zu verabschieden und den Beginn von etwas Neuem vorzubereiten und zu feiern. Diese Zeit ist besonders gut für innere Einkehr geeignet, um zurückzublicken und in die Zukunft zu schauen. Man ist zuhause, hat weniger zu arbeiten, geniesst es vielleicht, gemeinsam mit anderen Menschen Musik zu hören und die Festlichkeiten, die vor der Tür stehen, sinnlich aufzuladen. Ich spüre gerade in Konzerten zur Weihnachtszeit, dass viele Menschen ihre Familien oder Freunde mitbringen und es wichtig zu sein scheint, die Zeit mit Menschen zu verbringen, die einem nahestehen. Führt die Musik uns zu Gott? Für viele gilt das sicherlich. Bei mir ist es so, dass mir die Musik ihren eigenen, unglaublichen Wert versichert – sie ist für mich eines der kostbarsten und wertvollsten Geschenke meines Lebens.

Welche Weihnachtslieder wurden bei Ihnen zuhause gesungen, als Sie noch Kind waren?

Haben wir nicht alle Weihnachten mit «Stille Nacht» gefeiert? Auf der einen Seite ist dieses Stück so leicht, auf der anderen ist es fast unmöglich, es perfekt zu singen. In meiner Heimat Schweden ist das bekannteste Weihnachtslied wohl «Sankta Lucia». Dabei ist es ursprünglich ein italienisches Lied, das bei uns am 13. Dezember aber von Jung und Alt gesungen wird. Dann tragen die Kinder lange weisse Kleider und Hemden und halten eine Kerze in der Hand. Ich mag die stimmungsvolle Tradition, die dieses Lied bei uns zuhause hat.

Wenn Sie Arien wie Bachs «Schliesse, mein Herze, dies selige Wunder» singen, wo genau befinden Sie sich da? Irgendwo zwischen Himmel und Erde?

Bach schafft eine eigene Welt, er ist ein Meister für sich. Seine Welt würde ich vollkommen in der Musik verankern. Mit anderen Worten: In dieser Arie des Weihnachtsoratoriums bin ich vollkommen in der Musik. Und ich freue mich darauf, das Weihnachtsoratorium mit dem ZKO und Daniel Hope aufzuführen, denn ich liebe das Geigen-Obligato in diesem Stück.

Es geht im Weihnachtsoratorium um die Geburt Christi. Was fasziniert Sie an der musikalischen Umsetzung dieser Geschichte durch Bach?

Mich begeistert, wie es Bach immer wieder gelingt, technische Perfektion und direkte Emotionalität miteinander zu verbinden. Für mich ist der Anfang des Weihnachtsoratoriums «Jauchzet, frohlocket» ein Beispiel für seine unglaubliche Kunst. Es ist vollkommen egal, ob man gläubig ist oder ein Atheist – Bach gelingt es, die Sinne und die Sinnlichkeit in jedem Menschen zu berühren.

Ein Gegenbeispiel ist der Song «White Christmas» – das Lied spricht nicht über Religion, sondern bedient eine weihnachtliche, profane Atmosphäre. Was hat den Song so unendlich erfolgreich gemacht?

Wahrscheinlich seine Leichtigkeit. Es ist ein lieblicher, fluffiger Song, der gleichsam aber durchaus kunstvoll geschrieben ist. Und ich bin sicher, dass Bing Crosby diesem Lied zum Weltruhm verholfen hat. Eine geniale Interpretation!

«Auf der einen Seite ist ‹Stille Nacht› so leicht, auf der anderen ist es fast unmöglich, das Stück perfekt zu singen.»
Anne Sofie von Otter

Nun werden Sie das Lied interpretieren, gemeinsam mit dem ZKO. Wie würden Sie das Orchester beschreiben?

Daniel Hope hat mir vorgeschwärmt und ich freue mich sehr, nach Zürich in das wunderschöne Fraumünster zu kommen und mit dem ZKO und Daniel zu musizieren. Ich bin sicher, dass wir die beiden Konzerte gemeinsam geniessen werden.

Das Programm in Zürich wird mit «Oh Tannenbaum» enden. Dann haben Sie gemeinsam mit dem ZKO schon fast eine musikalische Weihnachts-Weltreise von Italien über die USA, nach Schweden und Deutschland unternommen. Wo wollen Sie selber das nächste Weihnachtsfest feiern?

Das nächste Weihnachtsfest und überhaupt alle Weihnachtsfeste: in Schweden, bitte! Die Dunkelheit und die Kerzen sorgen hier für die richtige Stimmung und wenn wir Glück haben, bekommen wir noch ein bisschen Frost und Schnee. So sieht das perfekte Weihnachten für mich aus.

Das Interview lesen Sie auch im aktuellen OPUS.

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