Vom Schlummer bis zum Tanz – der Flötist Maurice Steger und das ZKO erkunden in ihrem Konzert die vielen Facetten des Abends. Ein Gespräch über die Nacht in der Musik.

Maurice Steger, das Thema Ihres Konzerts mit dem ZKO ist die Nacht. Wie verbringen Sie eigentlich selbst die Abende?

Um ehrlich zu sein, habe ich gestern wieder bis drei Uhr in der Nacht gearbeitet. Es ist wohl so, dass ich eher eine Eule bin, aber inzwischen geniesse ich es auch, etwas früher schlafen zu gehen. Ich habe entdeckt, dass der Schlaf alles andere als Zeitverschwendung ist, sondern ein hervorragender Zustand sein kann.

In Ihren Programmen suchen Sie gerne nach verblüffenden Verbindungen, nun begegnen wir ganz unterschiedlichen Nachtstimmungen …

Das Thema scheint auf den ersten Blick abgegriffen zu sein. Aber bei genauem Hinschauen merkt man, dass es das gar nicht ist. Die Nacht beinhaltet so viele verschiedene Facetten und Affekte: Zustände von Aufgekratztheit, von Unheimlichkeit, von Wohligkeit oder von entspannter Freude.

Hat sich der Blick der Komponisten auf die Nacht in der Musikgeschichte gewandelt?

Ich glaube schon. Da ist zum einen das Barock. Für mich gehört Vivaldis Konzert «La notte» zum Tiefsten und Erhabensten, was wir von ihm kennen. Die Vielfalt, mit der er der Nacht in den sieben Sätzen begegnet, ist unglaublich: Wir hören Geister, Stürme, das Einschlafen und den Schlaf an sich. Aber auch in der «Kleinen Nachtmusik» von Mozart geht es ziemlich beschwingt zu. Erst später, mit der Romantik, kam ein besänftigendes Element hinzu: die Nacht als willkommene Dunkelheit oder als Raum für den erkennenden Schlummer. Vielleicht könnte man vereinfachend sagen, dass die barocken Nächte wesentlich heller und aufgekratzter waren als die Nächte der Romantik.

Auf dem Programm steht auch die Komposition «Singing Garden» von Toshio Hosokawa – was hat es damit auf sich?

Hosokawa ist einer der wichtigsten japanischen Komponisten und er schuf «Singing Garden» als Dialoggedanken zum Vivaldi-Konzert. Das Stück spielt mit der Stille, enthält Variationen über den Gedanken des Schlafes und spiegelt Vivaldis Panoptikum in unserer Zeit.

Wie fügt sich der Komponist und Flötist Anton Heberle ins Programm?

Von Heberle spielen wir sein bekanntes Konzert für Blockflöte und Orchester. Es erklingt meist in G-Dur, ich werde es aber mit einer As-Blockflöte spielen, wodurch die Tonart Es-Dur entsteht. Das bringt die gedeckte Stimmung dieser Musik viel besser zum Vorschein. Plötzlich klingt dieses Werk, das zuweilen gar an Volksmusik erinnert, ganz gedämpft und wie mit einem Schleier ummantelt. Ein Effekt, der Heberles Konzert ebenfalls zu einem Nachtstück werden lässt.

Bleiben schliesslich die Goldberg-Variationen von Johann Sebastian Bach …

… die ja für sich selbst sprechen. Für mich sind sieein Ausdruck musikalischer Schlaflosigkeit, die wir hier in der Fassung für Streichorchester darstellen.

Sie kommen nicht nur als Flötenvirtuose, sondern auch als Dirigent nach Zürich. Verändert das den Blick auf ein Orchester wie das ZKO?

Man erlebt ein Ensemble schon anders, je nachdem, in welcher Rolle man auftritt. Als Solist ist das Orchester eher ein Dialogpartner, mit dem man im Duett spielt. Als Dirigent geht es auch darum, zusammen mit dem Orchester eine gemeinsame Sprache zu entwickeln. Ich glaube, dass ein Orchester anders spielt, wenn man es sowohl als Dirigent als auch als Solist begleitet – es sind dann ganz andere Energien zu spüren. Und natürlich freue ich mich besonders, gemeinsam mit dem ZKO zu arbeiten, weil wir uns schon so lange kennen und ich die Professionalität, Flexibilität und Neugier dieses Orchesters einfach liebe. ab

Diese und weitere spannende Interviews rund um unsere Konzerte lesen Sie auch im aktuellen OPUS.

BEITRAG TEILEN