Isabelle Faust wird gemeinsam mit dem ZKO und Sir Roger Norrington Schumanns Violinkonzert interpretieren. Hört man diesem Werk den Wahnsinn an? Und warum steht die Geige der Musik zuweilen im Weg? Ein Gespräch über Schumann, unspielbare Doppelgriffe und den perfekten Klang.
Isabelle Faust, die Geschichte des Schumann-Violinkonzerts ist merkwürdig. Es wurde zu Lebzeiten des Komponisten nie aufgeführt und dann auch von seiner Frau Clara nicht herausgegeben – warum war das so?

Isabelle Faust: Dieses Werk war lange vom Pech verfolgt. Es gab ja durchaus Proben, und der Geiger Joseph Joachim war begeistert. Es gibt sogar Briefe, in denen er schreibt, wie man bei einer Probe über die Polonaise gelacht habe, über die polnischen Generäle, die man sich vorgestellt habe. Leider wurde Robert Schumann dann in die Nervenheilanstalt eingeliefert. Seine Frau und Johannes Brahms wollten unter allen Umständen verhindern, dass Schumann als verrückt erklärt wurde – und irgendwie meinten sie, in diesem Werk den Wahnsinn zu sehen.

Ist er denn zu sehen?

Schumann war sein ganzes Leben lang ein besonderer Komponist, der immer auch an die Grenzen gegangen ist. Und ja, im Autograf gibt es einige Takte, die allein von den Doppelgriffen her einfach nicht zu spielen sind. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass es sich dabei um eine erste Handschrift handelt. Das Stück kam nie so weit, dass es von Schumann zu Ende gefeilt wurde. Joseph Joachim fertigte daher eine Spielpartitur an, in der die Unspielbarkeit aufgelöst wurde. Für mich ist Schumanns Violinkonzert logisch aufgebaut, es verkörpert einen sehr innerlichen Charakter, ist eine Art Seelensuche und so etwas wie die natürliche Entwicklung im Schaffen Schumanns. Vielleicht springt es einen nicht sofort an, aber sobald man sich auf dieses Werk einlässt, wird man fündig.

84 Jahre nach der Fertigstellung wurde es ausgerechnet von den Nationalsozialisten uraufgeführt. Für das Schumann-Violinkonzert wurde jenes des Juden Mendelssohn aus dem Programm genommen. Ist das nicht absurd?

Eigentlich ging es darum, dass Yehudi Menuhin Mendelssohns Stück uraufführen wollte, die Nationalsozialisten, besonders Goebbels, dem jüdischen Musiker diesen Erfolg aber nicht gönnten und deshalb Schumann schnell in ihr Programm holten, um ihn zum urdeutschen Komponisten zu erklären. Was natürlich gerade bei diesem Werk absoluter Quatsch ist. Was mich verwundert, ist, dass Paul Hindemith das Werk damals für diese Aufführung bearbeitet hat und dabei alles eine Oktave höher setzte – das hätte er in seinem Schweizer Exil eigentlich nicht nötig gehabt.

Wie wichtig ist es, die Geschichte eines Werks zu kennen, wenn man es aufführt?

In diesem Fall glaube ich, dass es schon hilfreich ist, sich zu fragen, warum es so lange nicht gespielt wurde. Als ich mich vor zehn Jahren das erste Mal mit diesem Werk beschäftigt habe, gab es ja noch gar keine richtige Ausgabe. Um meine eigene Version zu finden, musste ich mir den Urtext in der Staatsbibliothek ansehen und die Spielpartitur von Joachim studieren, an der ich mich am Ende orientiert habe.

Hören Sie als Interpretin eigentlich andere Musik als die Zuhörer, sind Sie unmittelbarer am Klang beteiligt?

Von den Zuhörern im Saal, die alle die gleichen Töne hören, nimmt jeder immer auch Eigenes wahr. Das ist ja das Tolle an Kunst, dass jeder sich mit seinen Erfahrungen und seiner Empfindsamkeit in sie hineinversetzen kann. Der Interpret hört wohl tatsächlich anders, schon deshalb, weil die Musik – pathetisch gesprochen – zunächst einmal durch ihn hindurchfliesst. Ausserdem kann sich der Interpret beim Musizieren nie zu 100 Prozent in der Musik auflösen, denn um Emotionen zu erzeugen, ist es ratsam, sie auch in einem gewissen Mass zu kontrollieren.

«Natürlich liebe ich die Geige ebenfalls und stelle hohe Ansprüche an sie, aber sie ist für mich kein Fetisch, sondern ein Instrument im eigentlichen Sinne.»

Ist das Instrument also ein Handicap für den Interpreten? Es ist ja enorm schwer, den Klang des inneren Ohres physisch umzusetzen.

Das ist unser lebenslanges Problem. Warum üben wir so viel? Weil es unser Ziel ist, die Geige als Ding, als physischen Gegenstand vergessen zu machen. Die Technik hat letztlich nur einen Sinn: mehr Unmittelbarkeit zu schaffen und die physischen Tücken des Instruments zumindest etwas aufzulösen.

Es ist also die Geige, die bei einem Geigenkonzert stört?

Zumindest, wenn die Geige als Objekt auftritt. Für mich gibt es zwei Arten von Violinisten. Die einen lieben ihre Geige, also das physische Objekt, seine technischen Möglichkeiten, seine Körperlichkeit, das Ding und all das, was man damit anstellen kann. Ich gehöre zur anderen Art: Natürlich liebe ich die Geige ebenfalls und stelle hohe Ansprüche an sie, aber sie ist für mich kein Fetisch, sondern ein Instrument im eigentlichen Sinne. So wie für andere der Pinsel oder Füller, ist die Geige für mich ein Werkzeug, um einen bestimmten Zustand herzustellen: den Zustand der Musik. Die Geige ist für mich die Ermöglicherin des Klangs, der weit über das Instrument, ja über mich selber, hinausweist. (Interview: Axel Brüggemann)

Das ganze Interview lesen Sie im aktuellen OPUS.

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