ZKO-Direktor Michael Bühler und Music Director Daniel Hope sprechen über die neue Saison des Orchesters – und ihre Vision, dass Musik mitten im Leben stehen sollte.
Michael Bühler und Daniel Hope, das neue Programm des ZKO setzt auf Vielfalt, ist ausgefallen, mutig und spricht mit verschiedenen Formaten ein ganz unterschiedliches Publikum an.

Bühler: Dieses Programm ist das Ergebnis eines unglaublich spannenden Lernprozesses, der mich bereits seit acht Jahren begleitet. Eine der wichtigsten Lehren ist, dass es ein grosser Teil des Publikums geniesst, gemeinsam mit uns neue Dinge kennenzulernen. Das klassische Konzertformat – Menschen kommen, setzen sich hin, hören zu, klatschen und gehen wieder – stammt ja aus dem 19. Jahrhundert, und es ist an der Zeit, genau das zu hinterfragen, die alten Rituale abzuklopfen und Räume zu schaffen, in denen Neues probiert werden kann, ohne dabei das Alte vollkommen über Bord zu werfen.
Hope: Ein Konzert ist besonders spannend, wenn jeder merkt: Das hat ja was mit mir zu tun, mit meinen Gefühlen, meinen Freuden und Ängsten, mit meiner Welt, in der ich lebe. Für mich ist Musik immer mit gesellschaftlichen Prozessen verknüpft, mit Fragen der Ästhetik, der Wirtschaft oder der Politik – und natürlich auch mit allen anderen Künsten.

Könnte man nicht auch anders argumentieren? Warum brauchen wir Musik, um über eine Gesellschaft zu debattieren, die sowieso andauernd diskutiert: In Talkshows, in den sozialen Medien und in den Zeitungen? Kann Musik nicht einfach nur schön sein?

Bühler: Sicherlich, kann sie das – und es gibt auch Formate, die genau das feiern. Und natürlich stimmt es, dass heute viele Dinge sehr direkt und konkret verhandelt werden. Dabei bleibt aber ein wesentlicher Gedanke oft auf der Strecke: dass die Impulse, die Musik setzen kann, vielleicht eine Schicht tiefer gehen als jede andere öffentliche Debatte. Dass wir Dinge in der Musik verhandeln können, die für jeden Musiker und für jeden Zuhörer in Wahrheit so intim sind, dass wir sie in der Öffentlichkeit nie aussprechen würden. Bei uns geht es dauernd um Themen wie Lust, Liebe, Spiritualität, Hoffnungen, Fantasien, Visionen …
Hope: Genau. In der Kunst, und besonders in der Musik, können wir Dinge erkennen und erspüren, die in öffentlichen Diskussionen nie thematisiert werden. Und wenn wir es dann noch schaffen, unsere eigenen Gefühle beim Hören zu beschreiben, können wir durch die Musik Dialoge erzeugen, die uns als Menschen mit Menschen sprechen lassen.

«Die Impulse, die Musik setzt, gehen eine Schicht tiefer als jede andere öffentliche Debatte.»
Michael Bühler

Bühler: Gerade das ist ja heute oft ein Defizit. Laut Gehirnforschern werden durch die Musik Dinge stimuliert, die in unserem Bildungssystem oder in unserem rationalisierten Alltag oft viel zu kurz kommen: Musik schärft den Gemeinschaftssinn, die Fähigkeit zuzuhören, das mathematische Verständnis, das Bewusstsein für Formen und ein Gespür für Bewegung. Und darum geht es uns: Musik in ihrer gesamten Grösse zu begreifen und vorzustellen. Und ich freue mich, dass wir mit Daniel einen Music Director haben, der genau das vorlebt.

Dies ist bereits die zweite Saison von Daniel Hope als Music Director. Wie würden Sie den gemeinsamen Weg mit dem ZKO beschreiben?

Bühler: Unsere Erwartungen wurden eindeutig übertroffen. Wir wussten, dass wir etwas Neues wagen – aber der Erfolg der letzten Saison hat uns dann doch sehr gefreut. Wir haben gelernt, dass es in der Musik nicht nur ein Publikum gibt, sondern unterschiedliche Publika, und wir haben begriffen, dass es durchaus möglich ist, mit den unterschiedlichen Reihen auch unterschiedliche Menschen anzusprechen, dass die Zeiten, in denen ein Orchester ein Programm für eine Zielgruppe aufstellte, vorbei sind. Egal, ob Daniel in seinem «Director’s Cut» prominente Menschen trifft und die Musik als Anlass zur Debatte nutzt, oder ob wir mit grossartigen Solisten in einem klassischen Konzert musizieren – in jedem Format steht die Unmittelbarkeit im Vordergrund.
Hope: Was mich ausserdem begeistert, ist die Intimität eines Kammerorchesters wie des ZKO. Man spürt, dass hier Menschen bewusst einen gemeinsamen Weg miteinander gegangen sind. Oder anders: dass ein Weg fortgesetzt wird. Das Orchester hat sich, gemeinsam mit seinem Publikum, schon auf viele neue Abenteuer eingelassen, etwa mit Sir Roger Norrington, auf dessen Rückkehr sich hier alle immer wieder freuen. Ich spüre, wenn ich in Zürich bin, diese unglaubliche Nähe zu den Musikern, zum Publikum – Momente, in denen in einem Konzert tatsächlich zu spüren ist, dass etwas Existenzielles passiert.

Für diese Saison haben Sie sich neben den bewährten Formaten wie dem «Director’s Cut» etwas ganz Besonderes ausgedacht: Statt eines «Artist in Residence» gibt es beim ZKO nun «Art is in Residence» – was genau bedeutet das?

Hope: Wir möchten zeigen, wie unsere Kunstform, die Musik, mit anderen Künsten in Kontakt treten kann – und vor allen Dingen: was bei diesen Konfrontationen passiert. Zum Beispiel, wenn die Schauspielerin Katja Riemann Briefe von Mozart liest und somit ein vollkommen neues Licht auf die Musik wirft. Oder wenn die 3D-Künstler Projektil mit Licht virtuelle Räume erschaffen, die wir mit Musik füllen können, oder die von Musik inspiriert sind …

«Uns liegt am Herzen, dass unsere Konzerte sich öffnen.»
Michael Bühler

Bühler: Spannend sind auch Künstler wie der Scherenschneider Hans-Jürgen Glatz, der eine uralte Kunst ins Heute holt, der Tierfotograf David Yarrow oder Tanzlegenden wie Heinz Spoerli. «Art is in Residence» bietet so viele Möglichkeiten, den konventionellen Konzertbetrieb zu hinterfragen. Wir können derzeit nur ahnen, was auf diesem Feld irgendwann einmal möglich sein wird: Räume, die man mit 3D-Brille betritt, Einstellungen, mit denen das Publikum durch das Orchester «fliegen» kann, Möglichkeiten der multimedialen Nutzung – quasi eine Erweiterung des Klangraums ins Unendliche. Dass unsere Konzerte sich öffnen, egal in welchen Formaten, ist etwas, das uns sehr am Herzen liegt.

Das Interview lesen Sie auch im aktuellen OPUS.

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