Was wäre ein Geburtstag ohne Geschenke? Zum 75. schenkt das ZKO sich und seinem Publikum ein neues Werk. Komponiert hat es Cécile Marti, in deren Schaffen Orchestermusik einen ganz besonderen Stellenwert hat.
TEXT FELIX MICHEL

Bereits mit ihrem ersten, noch im Studium in Luzern entstandenen Orchesterstück hat Cécile Marti 2008 einen internationalen Kompositionswettbewerb gewonnen. Ihr bisher vielleicht eindrücklichstes Werk ist der Zyklus «Seven Towers», den das Sinfonie Orchester Biel Solothurn 2016 vollständig aufführte: 80 Minuten Musik für ein schwindelerregend vielstimmiges Riesenorchester inklusive Chor – Wunderwelten, hörend zu erkunden. Stets klangsinnlich und mit packendem Formgefühl erfunden ist Martis Musik. Zur Intuition gesellt sich ein forschender Intellekt, wie ihre parallel entstandene Dissertationsschrift über Typen musikalischer Zeitverläufe zeigt.

Seit Kurzem wohnt die vielseitige, auch als Steinbildhauerin tätige Künstlerin wieder im Zürcher Oberland. Zum Treffen am Bahnhof Stadelhofen erscheint sie – es ist ein heisser Junitag – mit einem riesigen weissen Brett samt einigen Aluprofilen unter dem Arm. Es sind Teile eines Schranks, die sie anschliessend nach Altstetten zum Schreiner tragen will.

Bei einem Latte macchiato an der lärmigen Falkenstrasse gibt Cécile Marti Auskunft über ihre «Seven Towers». Knapp sieben Jahre lebte sie in London, wo das Werk als Teil ihres künstlerischen Doktoratsstudiums an der Guildhall School entstand. Der dortige Kompositionsprofessor Julian Anderson habe ihr das ambitiöse Projekt lange ausreden wollen. Zu oft sei er mit der Selbstüberschätzung junger Komponisten aus aller Welt konfrontiert, vermutet Marti: «Da er mich nicht kannte, wusste er ja nicht, worauf er sich einlässt.» Sie selber wusste es, und ihr Professor lernte ihre Begabung – und ihre Hartnäckigkeit – bald kennen. Dazu kam das Glück, einzelne der «Seven Towers» als Auftragskompositionen zu realisieren und vorab aufzuführen; das erste Teilstück beispielsweise durch Mario Venzago und das Berner Symphonieorchester.

Für ihr aktuelles Projekt ist das Vorgehen ähnlich: «Seeing Time» soll ein abendfüllendes Ballett werden und ihre Faszination für Zeitverläufe ins Visuelle übertragen. Wiederum entsteht das Werk in einzeln aufführbaren Teilen – der zweite Teil nun eben als Auftrag des ZKO. Dieses Verfahren tangiere ihre künstlerische Freiheit kaum, sondern garantiere sie im Gesamten betrachtet gerade. «Die Freiheit fürs Werk an sich ist mir enorm wichtig.» Dazu brauche es eine klare Vorstellung vom Ganzen, bevor man die Arbeit in Angriff nehme.

«‹Seeing Time› soll Cécile Martis Faszination für Zeitverläufe ins Visuelle übertragen.»

Bei «Seeing Time» gehöre zum Konzept eine «Hybridform aus Ballett und Violinkonzert». Hier kommt das ZKO ins Spiel, dessen hohes Niveau Marti dazu nutze, gerade den Geigen manche konzertierende Passage zu schreiben. Geige und Balletthandlung erzählten dann einen «Wandlungsprozess von Verlusterfahrung in etwas Neues; Veränderungen, wie sie jeder aus seinem Leben kennt», sagt Marti, und spricht damit auch von sich selbst. Ein Hirnschlag mit 20 vereitelte ihre Laufbahn als Geigerin und liess sie jahrelang Abstand von der Musik nehmen. Erst als Komponistin fand sie einen Weg zurück.

Erklärt dieser Werdegang ihre besondere Liebe zum Orchester? Von «Sehnsucht» spricht Cécile Marti am Bahngleis, und präzisiert gleich: «eine positive, keine schmerzliche!» Spricht’s – und hievt ihr Schrankteil in die S-Bahn.

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