Mit fünf Werken zeitgenössischer Komponisten beteiligt sich das Zürcher Kammerorchester am Festival «Focus Contemporary: Züri West», davon sind zwei Schweizer Erstaufführungen.
Unter dem Namen «Focus Contemporary: Züri West» haben sich dieses Jahr unter der Ägide des Tonhalle-Orchester Zürich mehrere Zürcher Klangkörper und Institutionen vereinigt, um in Nachfolge der «Tage Neuer Musik Zürich» gemeinsam eine Plattform für zeitgenössische Musik zu bespielen. Als ein im südöstlichen Teil der Stadt domiziliertes Orchester fällt dem Zürcher Kammerorchester die Aufgabe zu, mit seinem Konzert den Auftakt für die knapp einwöchige Veranstaltungsserie zu machen.
«Komponisten dieses Konzerts haben sich intensiv mit dem Denken und der Musik anderer Kulturen auseinandergesetzt.»
Das ZKO-Konzert mit dem Titel «East meets West & West meets East» reflektiert zum einen, dass sich die geografisch verschieden domizilierten Klangkörper und Institutionen wie das Tonhalle-Orchester Zürich, das Collegium Novum, die Zürcher Hochschule der Künste und das Musikpodium der Stadt Zürich in einem gemeinsamen Rahmen dem aktuellen Musikschaffen stellen. Zum anderen zeigt das Programm, mit welcher Art Werken sich das ZKO in seinen Aufführungen neuer und neuester Musik seit seinen Anfängen beschäftigt. Die meisten Komponisten dieses Konzert haben sich intensiv mit dem Denken und der Musik anderer Kulturen auseinandergesetzt. Der vormalige ZKO-Composer-in-Residence Philip Glass etwa widmete sich intensiv den Traditionen Indiens, Klaus Lang denjenigen Japans und Toshio Hosokawa liess europäische und asiatische Traditionen miteinander verschmelzen.
«Un leggero ritorno di cielo», auf Deutsch eine sanfte Wiederkehr des Himmels, des italienischen Komponisten Stefano Gervasoni hat das ZKO unter der Leitung von Howard Griffiths 2003 in der Tonhalle uraufgeführt. Die Klangstudie für Solostreicher geht der Frage nach, ob und wie sich ein freier Fall in einen steuerbaren Flug umwandeln lässt. Oder anders ausgedrückt, ob der Prozess eines zivilisatorischen und natürlichen Zerfalls reversibel sei und sich vital umkehren liesse zu einer Rückkehr zu einem himmlischen Gleichgewicht, so der Komponist.
«Das Publikum soll sich während des Spiels vorurteilslos öffnen und die eigene Neugier unbelastet von Vorstellungen bekannter historischer Musik entfalten.»
Als das ZKO im Dezember 2014 im Rahmen von «Œuvres Suisses» Rudolf Kelterborns «Contraddizioni per trio ed orchestra d’archi» uraufführte, wollte der Komponist dem Publikum im Einführungsgespräch keine Werkerklärung mit auf den Hörweg geben. Er bat die Zuhörer darum, sich während des Spiels vorurteilslos zu öffnen und die eigene Neugier unbelastet von Vorstellungen bekannter historischer Musik zu entfalten. Zumindest verriet er, dass der Titel des Werks die Fantasie in eine bestimmte Richtung lenken sollte. So hiess es im Programmheft: «Contraddizioni = Widersprüche: Im musikalischen Ausdruck, in der Gestik, im Klang-Raum, in der Satz-Dichte, in der Bewegung, in der Dynamik, etc. Per trio ed orchestra d’archi: Das Streichorchester umfasst 20 Instrumente, die auf mannigfaltige Weise aufgeteilt werden. Ein Solo-Trio mit einer Geige, einer Bratsche und einem Cello spielt dabei eine wichtige Rolle – ausdrucksmässig und ‹dramaturgisch›.»
Die Musik des Japaners Toshio Hosokawa baut auf der westlichen Tradition auf. Als Schüler des koreanischen Komponisten Isang Yun in Berlin hat er jedoch keine Hemmung, Elemente japanischer Musikkultur in seinen, auf europäischen Techniken aufbauenden Arbeiten einzuflechten. Zu «Ceremonial Dance» sagt er: «Das Stück bezieht sich auf keinen realen kultischen Tanz, sondern einen, der nur in meiner Vorstellung existiert.» Weiter notiert er: «Die Idee dazu kam mir, als ich einmal einen Tanz beobachtete, der auf den langsamen, bedächtigen Bewegungen des Gagaku beruhte. Westlicher Tanz strebt zum Himmel, indem er die Schwerkraft aufzuheben versucht, er basiert auf geometrischen Bewegungen. Im Gegensatz dazu verwurzelt traditioneller japanischer Tanz den Körper fest in der Erde, der Tänzer soll sich im Einklang mit der langsamen Bewegung der Erde und dem Universum fühlen.»
Klaus Lang erklärt: «Zum klanglichen, konkreten Inhalt von ‹vier gefässe. staub. licht.› werden wie in einem Stillleben die elementarsten Klänge der Streichinstrumente (leere Saiten, Naturflageoletts, Glissandi etc.), also einfachste akustische Objekte, die weder interpretiert noch psychologisch oder inhaltlich aufgeladen werden. Es ist wie ein Erforschen des Wesens von Streicherklang, durch welches das Altbekannte, das Alltägliche, gleichsam durch die Lupe betrachtet zum unbekannten wilden Neuland wird. Den Klängen, als quasi mikrozeitlichen Phänomenen mit ihrem ungezähmten sinnlichen Reichtum gerade dort, wo sie am vielfältigsten und am schwersten kontrollierbar sind, nämlich im Leisesten, an den Grenzen zum Hörbaren und zum Geräusch, wird die musikalische Makrozeit, also die musikalische Form, als der Aspekt des kompositorischen Handwerks, der sich am direktesten nachvollziehbar mit Zeit beschäftigt, gegenübergestellt. Der klanglichen Fülle tritt eine klare formale Struktur entgegen, die die Musik zu einer klingenden Hörarchitektur werden lässt.»
«Company» von Philip Glass ist ursprünglich als Streichquartett in Form vier separater Interpolationen geschrieben worden und zwar als Musik zu einer theatralischen Umsetzung nach dem gleichnamigen Prosagedicht von Samuel Beckett. Wie häufig behandelt Beckett auch hier die Themen Tod, Einsamkeit und die Natur der Identität, was etwa bereits die Eröffnungszeile des Gedichts mit «A voice comes to one in the dark. Imagine.» belegt. Die Musik von Philip Glass reflektiert diese Themen, ohne jedoch darüber etwas Konkretes aussagen zu wollen. Im Gegensatz zu Becketts emotionaler Aussage geht es laut Glass in dieser Musik um eine Abstraktion als eigenständigen Wert.
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