Radu Lupu gehört sicherlich zu den elegantesten und gelassensten Pianisten unserer Zeit. Wenn er das Terrain der Klassik und Romantik betritt, entdeckt er oft unbekannte Landschaften. Gemeinsam mit dem Zürcher Kammerorchester und Dirigent Jukka-Pekka Saraste wird er Mozarts Klavierkonzert Nr. 21. und Beethovens 2. Symphonie spielen. Bei Igor Strawinskys «Basler Concerto» wird der Künstler Norman Perryman die Musik live mit seinen Bildern begleiten.
Seit Jahrzehnten verblüfft der Brite Norman Perryman das Publikum mit seiner ureigenen Kunst: Auf einem Overheadprojektor malt er fliessende Bilder zu Live-Konzerten. Nun ist er zu Gast beim ZKO und erklärt, wie das Ohr mit dem Auge zusammenhängt.
Norman Perryman, Sie malen mit Wasserfarben auf einem Overheadprojektor Bilder, während das Orchester spielt. Warum? Weil man mit dem Auge besser hören kann?
Tatsächlich ist es so, dass es Stücke gibt, in denen die Augen unsere Ohren öffnen. Die Idee ist nicht neu, schon die Exil-Komponisten, die in den 30er-Jahren nach Hollywood gekommen sind, haben Musik für bewegte Bilder geschrieben. Bei mir ist es andersherum: Ich kreiere während einer Aufführung quasi den abstrakten Film zur Musik, um das Gefühl und die Stimmung zu unterstreichen.
Die Nähe aus Bild und Klang kennen wir auch aus der Pop-Musik.
Als ich in der 70er-Jahren begonnen habe, hat Joshua White gemeinsam mit Janis Joplin ebenfalls an der Vereinigung von Bild und Musik gearbeitet. Ihre psychedelischen Bilder waren aber am Ende eher dekorativ, weil sie nichts mit der Musik zu tun hatten. Sie sollten einen LSD-Rausch simulieren. Bei mir ist es anders: Meine Bildwelten reagieren direkt auf die Musik, korrespondieren mit der Musik und verschmelzen im Idealfall mit ihr.
Fühlen Sie sich in diesem Moment des Konzerts eher als Maler oder als Musiker?
Natürlich male ich, aber ich kenne die Partituren, reagiere auf den Klang, antizipiere ihn zuweilen, nehme einen Auftakt vorweg oder spiele im Rhythmus des Orchesters. Insofern fühle ich mich schon auch als Musiker. Mein Pinsel kann ein Bogen oder ein Schlagwerkzeug sein. Das Besondere ist, dass die Bilder, die ich während des Konzertes male, am Ende nicht mehr existieren – genau wie die Musik.
Darin liegt gewöhnlich ein Grundunterschied zwischen Malerei und Musik: Das Bild ist ein bleibender Gegenstand, der jahrhundertelang an einer Museumswand hängt. Die Musik muss jeden Abend immer wieder neu kreiert werden …
Das ist es, was mich in der analogen Malerei auf dem Overheadprojektor fasziniert: Ich habe früher Bilder zu Musikwerken gemalt, aber sie waren statisch. Durch das Live-Malen und das Verschwinden der Bilder am Ende eines Abends werde ich gezwungen, immer wieder etwas Neues zu schöpfen. Natürlich habe ich bereits vor dem Malen Ideen und versuche gewisse Ziele zu verwirklichen, aber am Ende entsteht immer ein anderes Bild – so wie auch jeden Abend das gleiche Orchesterwerk anders klingt.
Noch etwas unterscheidet das Bild und die Musik: Das Bild ist für uns immer ein Gegenüber, die Musik hingegen umgibt den Zuhörer.
Mein Ideal ist es, mit den Bildern einen Raum zu schaffen, in dem man sich als Zuhörer gemeinsam mit der Musik aufhalten kann. Deshalb ist es mir wichtig, meine Bilder abstrakt zu halten. Es geht nicht darum, definierte Orte zu entwickeln, sondern Orte, in denen sich Auge und Ohr miteinander verbinden und eine Gesamterfahrung ermöglichen.
Manche Zuhörer schliessen im Konzert gern die Augen, weil sie sich dann besser auf die Musik konzentrieren können. Verstehen Sie das?
Aber natürlich, es gibt auch Komponisten, zu denen ich nie malen würde: Schubert beispielsweise, oder Debussy, deren Musik an sich bereits voller Bilder ist. Aber gerade in der Neuen Musik oder bei expressiven Werken ist das Bild eine durchaus bereichernde Ebene. Letztlich ergänzen sich seit unserer Kindheit Bild und Klang im Gehirn. Ich rate meinem Publikum, nicht zu denken, sondern das Konzert einfach geschehen zu lassen. Wer nicht denkt, sondern sich seinen Sinnen überlässt, hat die Möglichkeit, ganz neue Erfahrungen zu sammeln.
Sie haben schon mit vielen Orchestern und Musikern zusammengearbeitet. Welche Künstler sind Ihnen in besonderer Erinnerung?
Yehudi Menuhin war sicherlich einer der ersten, der meine Ideen nicht nur verstanden, sondern auch gefördert hat. Ihm ging es immer darum, die Musik als Grundlage zur Auseinandersetzung mit vielen Künsten und dem Menschen an sich zu verstehen. Daniel Hope hat inzwischen diese Fackel übernommen und trägt sie weiter. Beeindruckt hat mich auch die Begegnung mit Simon Rattle, der einmal sagte, dass man vielleicht einmal das gesamte Bühnenbild einer Oper live malen könnte. Dazu ist es noch nicht gekommen, aber wer weiss …
Nun malen Sie beim ZKO zu Strawinskys „Basler Concerto“ – was sehen Sie in dieser Musik?
Ich liebe Strawinsky. Er war ein Held des Theaters und hat Musik komponiert, die sich für Bilder geradezu anbietet. Seine Musik integriert das Ballett und nimmt immer auch Elemente früherer Werke auf. Mich begeistert dieser Klang und er inspiriert mich zu meinen Bildern. (Interview: Axel Brüggemann)
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