Simone Kermes wird beim Silvester- und Neujahrskonzert gemeinsam mit dem ZKO auftreten und dabei ein sehr individuelles Programm aufführen. Ein Gespräch über Diven, lebende Tote und Lieblingsarien.
Simone Kermes, Ihr Programm für die beiden Konzerte zum Jahreswechsel trägt den Titel «Viva la Diva» – wie würden Sie den Begriff der Diva definieren?
Allgemein wird die Diva mit einer Zicke gleichgesetzt, mit einer Künstlerin, die nicht das Werk, sondern sich selbst ins Zentrum stellt. Mit diesem Diventum kann ich ganz und gar nichts anfangen! Ursprünglich bedeutet Diva «die Göttliche». Und für mich liegt darin eine ihrer Grundtugenden: Eine Diva ist eine Vermittlerin des Göttlichen, der Musik. Eine wahre Diva wird vor allen Dingen durch die Demut vor der Musik angetrieben und weiss, dass sie nur ein Mensch ist, dem die Gabe geschenkt ist, Kunst auf die Bühne zu bringen.
Sie meinen, dass Musik aus einer anderen Welt kommt?
Ich glaube schon, dass uns Musik die Existenz von etwas Grösserem spüren lässt, von etwas, das über uns selber hinausführt, das ungreifbar ist … Ich glaube auch, dass Musik eine Möglichkeit bietet, die Grenzen der Zeit aufzuheben. Durch Musik können wir das Vergangene ins Heute stellen und – überspitzt gesagt – die Toten zum Leben erwecken.
Das müssen Sie genauer erklären.
Auf meinem neuen Album beschäftige ich mich intensiv mit Georg Friedrich Händel. Ich habe jahrelang mit seiner Musik gelebt, mit seiner Kunst gerungen, mich mit seiner Haltung und mit seinem Blick auf die Welt auseinandergesetzt. Je mehr ich mich mit ihm beschäftigt habe, desto näher kam er mir. Er drang in mein Leben ein, lebte irgendwann sogar gemeinsam mit mir. Das führte so weit, dass ich mir heute zuweilen vorstelle, dass wir miteinander verheiratet sind. Durch die Arbeit mit seiner Musik ist Händel für mich zu einem Seelenverwandten geworden. Man könnte auch sagen, dass ich mit ihm zusammenlebe, dass ich mit ihm in Kontakt stehe – er ist einfach immer da.
Für meine aktuelle Aufnahme habe ich ihm nun sogar einen sehr intimen Brief geschrieben, in dem es um die Schnittmengen unserer beider Leben geht. Was ich damit sagen will, ist, dass Musik eine Möglichkeit bietet, Grenzen zu überschreiten, die für uns Menschen gegeben scheinen. Eine dieser Grenzen ist die Grenze zwischen Lebenden und Toten. Wenn ich auf der Bühne stehe, geht es mir stets darum, die grossartige Musik der Vergangenheit in die Gegenwart zu holen, zu zeigen, dass die grossen Gefühle schon immer existierten und noch immer allgegenwärtig sind. Und all das tue ich, wenn Sie so wollen, mit der unglaublich grossen Demut der Diva.
Musik kann also das Vergangene mit dem Gegenwärtigen verbinden?
Genau. Oder anders ausgedrückt: Musik kann uns auf das Überzeitliche zurückwerfen, auf die grossen, ewigen Gefühle des Menschen. Wenn wir Barockmusik singen, beamen wir uns nicht zurück in alte Zeiten, sondern stehen noch immer im Hier und Jetzt, wissen dabei viel mehr über die Technik und haben vollkommen andere, moderne Möglichkeiten der Interpretation. Aber all unser Wissen dient lediglich dazu, das Übergrosse und das Allgemeingültige so emotional wie möglich auf die Bühne zu bringen und dabei so etwas wie die Seele der Musik herauszuarbeiten. In diesem Prozess kann es durchaus vorkommen, dass man sein eigenes Ich in der Musik eines anderen vollkommen neu entdeckt.
«Eine Diva ist eine Vermittlerin des Göttlichen, der Musik.»
Wie meinen Sie das?
Manchmal entdecke ich beim Singen jene Ecken in meinem Dasein, die lange vergessen waren. Gerade die Musik des Barock erinnert mich zuweilen an meine Zeit als Punk. Aber ich entdecke auch tiefe Gefühle in mir, die ich ohne die Musik wohl nie an die Öffentlichkeit bringen würde. Der Weg, den man in der Musik geht, ist ein Weg der andauernden Selbsterkenntnis. Die eigene Entwicklung als Mensch wird im Umgang mit der Musik offenbar. Letztlich ist die Musik wie ein Spiegel des eigenen Ichs. Was meinen künstlerischen Weg betrifft, so stand bei mir oft die Schrillheit im Mittelpunkt, die Buntheit, die Ecken und Kanten. Inzwischen spüre ich die Sehnsucht, erwachsener zu werden, tiefer zu graben, einzutauchen. Früher habe ich oft gesungen, was von mir erwartet wurde, und bin blind dem Markt gefolgt, den Managern und Plattenlabels. Heute nehme ich mir die Möglichkeit heraus, selber zu bestimmen, was ich tue.
In der Tonhalle Maag und im KKL Luzern werden Sie den Jahreswechsel feiern. Ihr Programm ist dabei auch ein Unterhaltungsprogramm. Ist es wichtig, dass Musik auch unterhält?
Entertainment ist eine Grundsäule der Musik. Das haben wir gerade im Barock gelernt, in dem es immer auch darum ging, die Menschen zu begeistern. Aber mir ist es wichtig, dass die Programme, die ich singe, auch jenseits der Unterhaltung stimmig sind und einen roten Faden haben. Sie sollen keine Gemischtwarenläden sein, sondern sich auf etwas beziehen. Bei Programmen wie dem Silvester- und Neujahrskonzert mit dem ZKO überlege ich mir sehr genau, was ich aufführen will.
Was genau waren die Überlegungen beim Programm «Viva la Diva»?
Zunächst einmal ging ich vom Arien, und natürlich vom Orchester aus, mit dem ich gemeinsam auftrete. Das ZKO ist ein vortreffliches Kammerorchester, dem man auch etwas zumuten kann. Das macht einen frei in der Planung. Und der Anlass des Jahreswechsels setzte natürlich auch einige Themen: Es ging mir darum, beschwingte Werke auszuwählen, aber keine Musik, die oberflächlich daherkommt und nur nach Champagner schmeckt. Ich wollte auch kein Programm, in dem ich in einem Teil Barockmusik und im anderen Operetten singe. Ich wollte, dass die Genres natürlich miteinander verschmelzen und so etwas wie ein historischer Sog entsteht. Ich konnte für Zürich und Luzern also ein Programm auf die Beine stellen, das ich so schon immer singen wollte.
Was sind für Sie die Highlights?
Natürlich die Arien, die ich noch nie zuvor gesungen habe, etwa Lehárs «Meine Lippen, sie küssen so heiss» – eine wunderbare Arie, von der man meinen könnte, jeder Sopran habe sie schon einmal gesungen. Aber aus irgendwelchen Gründen hat es bei mir bis jetzt nie geklappt. Auch die Rosina aus Rossinis «Il Barbiere di Siviglia» ist neu für mich, und ich freue mich sehr, sie in Zürich zu singen.
Was erwartet das Publikum in Zürich und Luzern ausserdem?
Wenn Sie so wollen, eine Zeitreise: Mein grosser Gott, Georg Friedrich Händel, schwingt dieses Mal nur im Orchester, in «Arrival of the Queen of Sheba» mit, auch Wolfgang Amadeus Mozart taucht nur im Orchester auf. Dann kommen wir schnell zu Rossini und Donizetti. Besonders freue ich mich auf die Operetten, denn ich liebe Operetten! Es heisst ja immer, sie seien leichte Musik, aber das ist absoluter Quatsch! Operetten erfordern die hohe Kunst, das Komplizierte möglichst leicht klingen zu lassen. Und natürlich begeistern mich auch Robert Stolz und Franz Lehár.
Am Ende hören wir noch Leonard Bernstein.
Ein Dirigent und Komponist, der wahrlich einmalig war! Wir hätten dieses Jahr ja seinen 100. Geburtstag gefeiert. Bernstein gehört zu jenen wenigen klassischen Musikern der Moderne, die etwas für die Ewigkeit geschaffen haben. Ich freue mich sehr auf seine Parade-Arie «Glitter and be gay» aus dem Musical «Candide». Und ich bin ziemlich sicher, dass wir auch nach dem offiziellen Programm noch das eine oder andere Schmankerl im Gepäck haben. ab
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