Das Motto der diesjährigen «Tage für Neue Musik», dem Zürcher Festival für zeitgenössische Musik, lautet «Bekenntnisse». Sie können weltanschaulicher, politischer, religiöser oder ästhetischer Art sein, wie die fünf Werke des Eröffnungskonzerts des ZKO belegen.
Cantio, Moteti und Interventiones

Der Begriff Bekenntnismusik könnte nicht treffender zum Werk des Schweizers Klaus Huber passen. Er war ein Mensch mit hohem künstlerischem Ethos und verstand Komponieren als persönliches Bekenntnis, als Einspruch des Subjekts gegen die Welt. Seine Begründung: «Wir alle haben eine historische Verantwortung, sowohl für die Musik als auch für das, was zur geistigen Befreiung des Menschen gehört.» Dabei verwarf der im letzten Jahr in seinem 93. Altersjahr verstorbene Komponist «private Mythologien», «reine, antiseptische Musik» und Musik um der Musik willen. Auf die Frage, ob Musik einen Einfluss ausüben könne, antwortet er: «Ohne irgendeinen Zweifel. Sie hat die Fähigkeit, uns tief zu durchdringen … Musik ist existenziell notwendig und untrennbar mit dem Prinzip Hoffnung verbunden.»

Diese Haltung offenbart sich auch in seinen «Cantio, Moteti und Interventiones». Das Stück ist eine Bearbeitung seines 1. Streichquartetts «Moteti Cantiones », das in Folge seiner Auseinandersetzung mit der Kompositionstechnik Anton Weberns sowie den Formen bei Igor Strawinsky und Werken für englische Gambenconsorts des 17. Jahrhunderts entstand. Das Streicherstück wurde von Edmond de Stoutz, dem Gründer und langjährigen Leiter des ZKO, in Auftrag gegeben und 1965 am Menuhin-Festival unter ihm in Gstaad uraufgeführt.

Klaus Huber (c) Harald Rehling
Lebensbaum III

Zu ihrem Streicherstück schreibt die 1945 geborene koreanische Komponistin und Hubers langjährige Lebensgefährtin Younghi Pagh-Paan: «Wenn ich mir die Frage stelle: ‹Woher komme ich?›, dann überlege ich: ‹Wer bin ich?›. Auch die Frage, wo der Ursprung meiner Musik liegt, will ich beantworten. Also beginne ich ein leises Zwiegespräch mit mir und meiner Musik. Zum Titel des Stücks: Viele Naturvölker glauben, dass in solchen Bäumen uralte Berggeister leben, oder Buddha, er wurde unter einem Baum geboren und unter einem Bodhi-Baum, einer Pappelfeige, erleuchtet. In der Genesis lesen wir über ‹den Baum des Lebens und der Erkenntnis› und in der Offenbarung des Johannes über den ‹Baum des Lebens›. Ich möchte noch weitere Kompositionen mit dem gleichen Titel schaffen, ähnlich wie wenn ich einen alten Tempel aufsuche, um dort in Ruhe über die existentiellen Grundfragen nachzudenken.»

Younghi Pagh-Paan (c) Harald Rehling
Musik für 22 Solostreicher

Eine dieses Jahr von der Universität Basel organisierte Ausstellung und ein Symposium über den 1922 in Basel geborenen und 2006 in Riehen verstorbenen Jacques Wildberger stellen den Anfang zur Wiederentdeckung einer höchst originellen kompositorischen Stimme dar. Sie vereint künstlerische Subjektivität und Expressivität sowie einen souveränen Willen, kompositorisch Neues zu entdecken. Ausserdem richtet sie sich an ein politisch waches Publikum. Extreme Momente des 1960 entstandenen und in Lugano uraufgeführten Stücks bilden etwa die rein akkordische Auffächerung der vorgegebenen Reihe, danach die melodische Ausbreitung.

Jacques Wildberger
Stellen

Das 2008 im Auftrag der Ernst von Siemens Musikstiftung uraufgeführte Stück behandelt das Spannungsfeld zwischen subjektiver, innerer Klangvorstellung
und ihrer konkreten räumlichen Umsetzung. Wie der 1962 in Aarau geborene Dieter Ammann berichtet, nehme der Titel Bezug auf eine Musik, die in ihrer Erscheinung von starken Spannungsverläufen und Kontrasten geprägt werde, sich also von «Stelle zu Stelle» stark wandeln könne. Zum anderen verweise er auch auf das Verb «stellen», das ein aktives Tun umschreibe: die innere, subjektive Klangvorstellung wird in eine gültige Form gebracht, um als genuines Werk in den Raum «gestellt» zu werden.

Dieter Ammann (c) Harald Rehling
Voile

Der 2001 in Paris verstorbene Iannis Xenakis ist eine Ikone der musikalischen Avantgarde. Seine Musik verbindet naturwissenschaftliche Ideen mit der vorsokratischen Gedankenwelt. Dazu beschritt der gelernte Corbusier kompositorisch völlig neue Wege. Obwohl sich etwa Musik akustisch nur in der Zeit und Architektur im Ausmass dagegen nur im Raum erfahren lässt, versuchte er 1995 im Stück «Voile» diesen an sich unvereinbaren Unterschied in der ästhetischen Wahrnehmung zu überwinden. So gestaltet sich etwa die Partitur optisch als Segel. Während das Orchester zum Auftakt wie ein geblähtes Tuch im Raum sitzt, ziehen kurz hintereinander gestaffelte Einsätze einen Toncluster wie ein Segel auf … pr

Iannis Xenakis (c) Michèle Daniel

Den vollständigen Bericht lesen Sie auch im aktuellen OPUS.

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