Natürlich gibt es Musiker, für die Musik ein Selbstzweck ist: eine schöne Tapete aus Tönen, eine Welt, die in sich stimmig ist, die nichts mit anderen Welten zu tun hat, eine Welt, in der Klang alles und alles andere nichts ist. Aber ich glaube nicht an diese hermetische Welt! Musik entsteht nie allein aus dem Klang. Jeder Künstler, jeder Komponist, stand und steht immer in der Welt, in der er lebt. Und ein Teil seiner Persönlichkeit wird immer auch durch die Gesellschaft, die Situation und ja, vielleicht sogar durch die weltpolitische Lage geprägt, die ihn umgibt.

Schauen Sie allein einen Grossmeister wie Menahem Pressler an, mit dem ich die Ehre hatte, neun Jahre lang gemeinsam im Beaux Arts Trio zu musizieren, und auf dessen Besuch in Zürich ich mich ausserordentlich freue: Pressler floh vor den Nazis nach Palästina, dann weiter in die USA. Natürlich hinterlassen derartige Erfahrungen auch hörbare Spuren. Oder lesen Sie in den Briefen Mozarts: Sie sind voll von lustvollen Flirts, von Wut über seine Dienstherren, von Beschimpfungen seines Publikums und erzählen nicht selten die Geschichte des Komponisten als Sohn eines übergrossen Vaters. Wenn Katja Riemann nun an der Saisoneröffnung aus diesen Briefen liest, öffnet uns das auch die Ohren für Mozarts Musik.

«Wenn wir Musik hören, ahnen wir Temperaturen, Farben oder Bewegungen.»
Daniel Hope

Überhaupt glaube ich, dass all unsere Sinne unser Hören beeinflussen: Wenn wir Musik hören, sehen wir vielleicht keine fertigen Bilder, wohl aber ahnen wir Temperaturen, Farben oder Bewegungen. Und natürlich standen alle Komponisten immer auch in Kontakt mit Künstlern anderer Felder, denken wir nur an Strawinsky und Picasso. Die Malerei, der Tanz und später die Fotografie und der Film haben die Musik stets beeinflusst und sich von der Musik beeinflussen lassen. Umso mehr freue ich mich, dass wir in dieser Saison die Kunst in unsere Programme holen, dass wir mit «Art is in Residence» eine Form geschaffen haben, in der Tanz, Bilder und Bewegungen unsere Ohren öffnen. Eine Form, in der die Musik in spannende Dialoge tritt: mit Künstlern anderer Sparten und, ganz konkret, mit unserer alltäglichen Welt.

Die Kolumne lesen Sie auch im aktuellen OPUS.

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