Der Pianist Oliver Schnyder feiert gemeinsam mit dem ZKO das 100-Jahr-Jubiläum des Kammerorchesters Zürich und seinen Gründer Alexander Schaichet – für Schnyder ein genialer Musikmacher.
Oliver Schnyder, Ihr Konzert ist der Gründung des Kammerorchesters Zürichs durch Alexander Schaichet vor 100 Jahren gewidmet. Sie selbst sind ein Künstler, der nicht nur Klavier spielt, sondern auch Konzertideen entwickelt – ein musikalischer Macher. Sind Menschen wie Schaichet ein Vorbild für Sie?
Auf jeden Fall, und sein Name echot noch immer sehr laut durch unsere musikalische Gegenwart. Es ist sehr faszinierend, was Alexander Schaichet geleistet hat. Er war nicht nur Gründer des ersten Kammerorchesters der Schweiz, sondern auch ein grosser Förderer der Schweizer Gegenwartsmusik. Komponisten wie Robert Blum, Willy Burkhard oder Albert Möschinger wurden durch ihn unterstützt. Zudem setzte er sich auch vehement für Musiker wie Ernst Krenek, Max Reger und besonders für Béla Bartók ein. Letztlich war er mit seiner Leidenschaft auch Vorbild für Paul Sacher und dessen spätere Gründung des Basler Kammerorchesters. Was vielleicht ganz lustig ist: Einer meiner Lehrer in der Gymnasialzeit war Schüler von Schaichet – und insofern gibt es sogar eine direkte Linie zu mir.
Sie spielen an diesem Abend unter anderem Bachs erstes Klavierkonzert BWV 1052. Ein Werk, das man von Ihnen und Ihrem Repertoire nicht unbedingt erwartet …
Das stimmt, aber mir gefällt es sehr, wenn Programme einen tieferen Sinn haben. Als ich in der Planungsphase erfuhr, dass genau dieses Bach-Konzert bei der Gründung des Kammerorchesters Zürich gespielt wurde, war ich sehr gespannt darauf, es zu erarbeiten. Nun werde ich das Konzert bald zum ersten Mal öffentlich spielen! Oft sind es ja solche Umstände, die einen ermuntern, neue Stücke auszuprobieren. Ich merke gerade, dass Bach mir auch auf anderen Ebenen immer näher kommt und immer tiefer in mein Repertoire eindringt.
Neben Bach stehen an diesem Abend zwei Streichersinfonien von Mendelssohn auf dem Programm – Frühwerke, die eindrücklich dessen Wissen um die Musikgeschichte zeigen.
Es fasziniert mich an der Musik, dass sie keinen Stillstand kennt, dass es immer wieder Entdeckungen gibt und dass sich die Moden laufend verschieben. Natürlich war Mendelssohn einer der grössten Pioniere, ein genialer Komponist und Musiker. Auch als Dirigent und Musikhistoriker hat er neue Horizonte geöffnet. Ich befürchte, wir drohen ein wenig dieser Offenheit zu verlieren. Für mich persönlich ist es wichtig, dass wir aufhören, die Musik in Schubladen zu stecken – in die E- und U-Schublade etwa.
Es gibt nur gute und schlechte Musik?
Ja, am Ende geht es immer um die Unmittelbarkeit der Musik. Das Kammerorchester Zürich hat sich auch gleichzeitig um Alte und Neue Musik gekümmert. Und ich persönlich lasse mich sehr gern vom Jazz und sogar vom Pop inspirieren. Wir spielen an diesem Abend auch Mozarts Klavierkonzert Nr. 26, das sogenannte «Krönungskonzert». Heute rangiert es vielleicht hinter den Konzerten KV 482 oder KV 488, aber in der Nachkriegszeit war es eines der populärsten Stücke Mozarts. Es sind diese Verschiebungen, die mich interessieren. Ich glaube, dass das Konzert auf Grund seiner effektvollen Schlichtheit sehr volksnah ist, eigentlich ein Popstück, das sich an der grossen Serenadenkultur orientiert. ab
Dieses und weitere Interviews lesen Sie auch im aktuellen OPUS.
DAS KAMMERORCHESTER ZÜRICH UND ALEXANDER SCHAICHET
Als der aus Odessa stammende Violinist und Bratschist Alexander Schaichet 1914 ferienhalber in die Schweiz reiste, ahnte er nicht, dass er hier den Rest seines Lebens verbringen sollte. Eigentlich wollte er wieder zurück nach Jena, wo er am Konservatorium unterrichtete und Primgeiger verschiedener Kammermusikformationen war. Doch der Erste Weltkrieg kam dazwischen. Schaichet, verheiratet mit der Pianistin und Béla-Bartók-Schülerin Irma Schaichet, blieb sein ganzes Leben in der Limmatstadt, wo er 1920 das Kammerorchester Zürich gründete und bis zu dessen Auflösung 1943 leitete. Zahlreiche Ur- und Erstaufführungen von Werken Alter und Neuer Musik, davon viele von Schweizer Komponisten, waren die Bilanz und zeugten von Schaichets grosser Liebe zur Musik.
Weitere Jubiläumsveranstaltungen finden Sie unter www.schaichet.ch.