Der Mandolinenmeister Avi Avital zeigt im Konzert mit dem Zürcher Kammerorchester, dass sein Instrument keine Grenze kennt. Sogar in eine russische Balalaika kann es sich verwandeln.

Avi Avital, Ihr Programm in Zürich könnte man vielleicht so zusammenfassen: In der ersten Hälfte Barockmusik und dann Musik, die Sie schon immer mal spielen wollten?

Diese Zusammenfassung gefällt mir. Tatsächlich spielen wir im ersten Teil jenes Repertoire, das man von der Mandoline erwartet: Beim Barock befindet man sich auf sicherem Terrain. Aber es gibt eben auch eine andere Assoziation zu meinem Instrument, und das ist die romantische Seite, das Sentimentale der Gambe. Dazu passt Tschaikowsky perfekt.

Sie spielen Teile seiner «Jahreszeiten» in einer Bearbeitung von Ohad Ben-Ari …

… die wirklich grossartig ist. Für mich sind derartige Bearbeitungen immer auch Experimente. Es ist am Anfang nie ganz klar, was am Ende herauskommt, und es ist spannend, was man vorfindet. Im Falle von Tschaikowsky war es die Erkenntnis, dass die Mandoline bei Arrangements oft mit folkloristischer Musik assoziiert wird. Wenn ich die Bearbeitung von Ben-Ari spiele, verwandelt sich die Mandoline plötzlich in eine russische Balalaika. Ich habe anfänglich sehr über diesen Effekt gestaunt, aber eigentlich ist er logisch, denn fast überall in der Welt wird Volksmusik mit einem Zupfinstrument verbunden.

Wenn ich das richtig verstehe, verwandeln Sie die Begrenztheit Ihres Instruments in eine Art von Freiheit?

Das ist die Grundidee von allem, was ich tue. Natürlich kann man als Mandolinenspieler den Kopf in den Sand stecken und jeden Tag lamentieren: Es gibt kaum Repertoire für unser Instrument, und das Repertoire, das es gibt, ist in sich begrenzt. Aber man kann das Ganze auch anders sehen und sagen: Es gibt so wenig Literatur, dass es spannend ist, jede Grenze mit der Mandoline zu sprengen, um sich vollkommen frei als Reisender in der Musikgeschichte auszuprobieren. Mit dieser optimistischen Sichtweise entstehen plötzlich Programme wie das mit dem Zürcher Kammerorchester, in dem wir alle vollkommen Neues entdecken, in denen das Vivaldi-Konzert mit der Adaption des Bach-Violinkonzerts für Mandoline in einen Dialog tritt, oder Tschaikowskys «Jahreszeiten» mit der wunderbaren Orchesterfassung von Verdis Streichquartett. Abende wie diese sind nicht nur für das Publikum, sondern auch für uns Musiker äusserst bereichernd.

«Abende wie diese sind nicht nur für das Publikum, sondern auch für uns Musiker äusserst bereichernd.»

Auffallend ist, dass es auch keine Grenzen in der Zeit gibt. Gerade das Barock, aus dem Sie ja eigentlich kommen, scheint mit der Moderne zu korrespondieren…

Wenn man sich mit der Zeit und der Interpretationskunst des Barock beschäftigt, erkennt man sofort die grossen Freiheiten, die den Interpreten damals zur Verfügung standen. Musik war im Barock vor allen Dingen eine Frage des Mutes, der Persönlichkeit und Spontaneität. Und an dieser Stelle sind wir auch heute wieder. Ich bin sicher, dass Vivaldi heute ein DJ wäre. Sein Genie lag in seiner Unverfrorenheit. Und darin, dass er den Beat im Barock erfunden hat.

Mit dem neuen Programm knüpfen Sie an das Barockkonzert an, das Sie 2017 mit dem Zürcher Kammerorchester gegeben haben.

Ja, denn das Barock ist der Schlüssel zu so vielem. Die Freiheit der Musik des Barock ermuntert jeden Musiker, die Augen und die Ohren zu öffnen und neugierig zu sein. Und diese Neugier steht auch über dem aktuellen Programm.

Welche Rolle spielen die Orchester, mit denen Sie zusammenarbeiten?

Es ist das Reizvolle an unserem Beruf, dass jede Begleitung, sei es durch einen anderen Solisten oder eben ein Orchester, immer wieder vollkommen neue Dialoge eröffnet. Im Laufe der Zeit habe ich festgestellt, dass mir die Verbindung von Mandoline und Streichorchester besonders gut gefällt. Da gibt es auf der einen Seite die Unmittelbarkeit und Direktheit des gezupften Tons, auf der anderen Seite das Eingebettetsein in einen warmen, weichen Streicherklang. Diese Kombination funktioniert für mich besonders gut. Es ist ein Gegensatz, bei dem beide Seiten mit ihren Stärken zur Geltung kommen.

Was ist für Sie das Besondere am Zürcher Kammerorchester?

Man spürt beim ZKO, dass es kammermusikalisch funktioniert, dass es sofort in einen Dialog mit dem Solisten tritt, dass es Spass daran hat, gemeinsam zu denken, zu spielen und zu experimentieren – es ist ein sehr flexibles Orchester, mit dem man gern neue Wege einschlägt. Und ich muss sagen, dass mich dieses Bild immer wieder fasziniert: die Mandoline und die Streicher – ein Meer voller Holz! Das strahlt für mich eine ureigene Magie aus und ist für mich so etwas wie der Inbegriff der analogen Schönheit! ab

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